berliner szenen: In seinen Stiefeln beerdigt
Man kann sich seine Vaterfiguren nicht schnitzen. Manchmal begegneten wir uns sonntags, bevor der Lesekreis anfing. Er war zu früh gekommen, ich auch, wir waren dann beide, bevor wir klingelten, lieber noch einmal um den Block gelaufen, und es war uns ein bisschen peinlich, dabei erwischt zu werden. „Wir Zufrühkommer“, sagte er einmal in so einer Situation mit seiner sanften Stimme. Mir klang das wie eine Auszeichnung.
Er wollte in einem anonymen Urnengrab beigesetzt werden. Keine Kirchenglocken. Der Bestatter ließ die Urne sehr langsam herab. Etwa 40 Menschen waren gekommen. Zwei schöne Reden wurden gehalten. Viele legten Blumen ans Grab. Der Friedhof war schön. Wie oft auf Beerdigungen erschien der Himmel so hoch und der Wind in den Bäumen so rührend. Alle, die mit dem Auto gekommen waren, boten Plätze an, um ins Mommseneck zu fahren, wo man dann noch zusammensaß. Viele erzählten Anekdoten von Filmen, die er mochte oder hasste, oder auch von den Blumen, die er liebte. Es gibt viele Dinge, bei denen man immer an ihn wird denken müssen.
Später an dem Abend habe ich mir auf dem Balkon noch einmal „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ auf dem Tablet angesehen, einen der Western, über die er so schön geschrieben hatte. Zuerst war ich ganz erschrocken darüber, dass die Rahmenhandlung des Films ja eine Beerdigung ist (das hatte ich vergessen) und der ganze Film ein Versuch, den von John Wayne gespielten Tom Doniphon zu würdigen, den inzwischen vergessenen Gunman, ohne den die Zivilisation nie in die Stadt gekommen wäre. Je länger der Film lief, desto besser erschien mir die Wahl. James Stewart sorgt im Film dafür, dass Doniphon in seinen Stiefeln beerdigt wird. Das zu sehen war traurig und tröstlich.
Dirk Knipphals
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen