berliner szenen
: Bösewicht aus dem Fernsehen

Ich stehe vor der Kühltheke eines Spätkaufs, als mich jemand von hinten rammt und „Weg da“ zischt. Ich drehe mich um, sehe einen grauhaarigen, drahtigen Typ mit stierendem Blick und gehe schnell an ihm vorbei nach draußen. Er folgt mir, setzt sich ungefragt zu meiner Freundin N. und mir und sagt: „Ich bin der Kämpfer.“

Auf der Straße laufen zwei Mädchen vorbei. Er grölt hinterher: „Wascht euch mal, ihr stinkt!“, spuckt den beiden hinterher und raunt: „Denen lutsche ich die Augen aus.“ Wir sehen ihn entgeistert an. Er erklärt, die beiden sähen so aus, als seien sie gerade aus dem Balkanurlaub zurück: „Affennutten, die feiern, wo die Bomben geflogen sind.“

Ich bitte ihn, sich umzusetzen: „Ich möchte den Tisch ungerne mit jemandem teilen, der andere beschimpft, bespuckt und bedroht.“ Er funkelt uns an: „Wisst ihr eigentlich, wen ihr vor euch habt? Ihr kennt mich sicher als Bösewicht aus dem Fernsehen.“ Er räuspert sich, rezitiert ein Gedicht und zeigt dann eine Setkarte. N., die ohne Brille beinahe blind ist, meint: „Na komm, das ist doch deine Videothekkarte.“

Er brüllt: „Gott, bist du dumm! Kannst nicht einmal lesen!“ Ich frage ruhig: „Warum bist du eigentlich so aggressiv?“ Er stiert: „Bin nicht aggressiv.“ N. fragt: „Bist du traurig?“ Er schreit: „Traurig, ja. Weil ich meine Kinder nicht sehen darf.“ Er spuckt ausladend: „Drei habe ich. Die besten. Wenn meine Tochter hier wäre, würde sie euch Benehmen beibringen: Die ist zehn und benimmt sich besser als ihr!“ In dem Moment entdeckt er von Weitem jemanden, meint, er müsse was klären, und rennt los.

Am nächsten Morgen habe ich eine E-Mail von N. Sie schreibt: „Gerade aus Spaß gegoogelt. Der Kämpfer ist tatsächlich Schauspieler, macht aber schon seit Längerem nur mit trunkenen Tiraden von sich reden.“

Eva-Lena Lörzer