: Symbiose im Hasenland
Die Wege des Künstlerehepaars Annette und Erasmus Schröter sind grundverschieden. Doch in der gemeinsamen Ausstellung „Montevideo“ in der Kieler Stadtgalerie schaffen es die Malerin und der Fotograf, als Schröter & Schröter ihre Wege zusammenzuführen
Von Frank Keil
Etwas verloren wirken die beiden Hasen in dieser wahrhaft wagnerianischen Felslandschaft unter der Adlerskulptur. Doch genau mit diesem Image des Künstlers als scheues, aber auch flinkes Wesen spielen Annette und Erasmus Schröter. Für „Hasenland“ ist das Leipziger Künstlerehepaar in maßgeschneiderte Nagerkostüme geschlüpft. Mal tauchen die beiden unter einer monströsen Autobahnbrückenkonstruktion auf, dann wieder schleichen sie sich des Nachts auf einen kinderleeren Spielplatz und locken nicht zuletzt die Kunstbetrachter in eine ganz eigene Hasen-Welt, die wohl nicht zufällig mit dem Sujet des ambitionierten Märchenfilmes der 1970er-Jahre spielt. Diese Szenen bannen sie auf großformatige Abzüge in Schwarz-Weiß.
Hasenland ist ein guter Einstieg für die Schröter-und-Schröter-Schau in der Kieler Stadtgalerie. Sie läuft unter dem rätselhaften Titel „Montevideo“ und ist ihre erste Gemeinschaftsausstellung, die zunächst in Leipzig zu sehen war. Sie bietet sowohl einen Blick auf ihre jeweils ganz eigenen Arbeiten, in denen sich bei genauer Betrachtung einiges Verwandtes findet, als auch auf die erwähnte Gemeinschaftsausstellung „Hasenland“.
Ihr Auftreten zu zweit in der jeweils kulissenhaften Welt des Menschen hat immer etwas Flüchtiges und Unwirkliches, so wie auch die Gewehre, mit denen sie sich jägergleich präsentieren: schlichte Holzgewehre sind, aus denen nie eine Kugel abgeschossen werden wird. Und manchmal halten sie sich auf ergeben schüchterne Weise an den Händen, sind dabei, eilig wegzurennen, sind schon gleich wieder verschwunden – so als Paar.
Die beiden heutigen Schröters lernen sich während ihres Studiums an der Hochschule in Leipzig kennen: Sie studiert Malerei, er Fotografie. 1982, nach dem Studium, mit dem Abschluss in der Tasche, entschließen sie sich zu einem anderen Schritt, der ihnen das jeweilige künstlerische Arbeiten zunächst weitgehend verbaut: Sie beantragen ihre Ausreise aus der DDR.1985 gibt man ihrem Wunsch statt, sie siedeln nach Hamburg über.
Annette Schröter erhält hier bereits 1986 den Elysée-Preis für Malerei. Erasmus Schröter fasst als freier Fotograf Fuß und arbeitet für den Stern, für den Spiegel, das Zeit-Magazin oder das damals noch existierende Magazin Tempo. Sie haben ein gemeinsames Atelier. 1997 kehren sie nach Leipzig zurück, wo sie seitdem leben und arbeiten.
Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Bilder- und Bildwelt der DDR in ihrem Werk einerseits tiefe Spuren hinterlassen hat, andererseits sie noch immer herausfordert: Und so sammeln sie fortlaufend auf realen wie virtuellen Floh- und Trödelmärkten scheinbar kunstferne Alltagsgegenstände des einstigen Arbeiter- und Bauernstaates, um diese kraft des Aktes des Sammelns und Präsentierens künstlerisch aufzuladen und sie hernach über genau diesen Verwandlungsprozess zu befragen.
Gleich im Eingangsbereich der Stadtgalerie stoßen wir so auf eine beeindruckend ineinanderfließende Sammlung von sogenannten Rufra-Glastabletts. Hergestellt bis zum Mauerfall im Thüringischen Wasungen, gedacht für das Servieren von Schnapsgläsern samt Inhalt, wie das in nahezu jedem DDR-Haushalt üblich war. Das Verblüffende ist nicht nur, dass die Tabletts quasi seriell ohne jede Lücken in großer Zahl aneinandergereiht mit einem Mal den Charakter von Bilderrahmen übernehmen: Der Blick wird noch weit mehr auf die Tablettböden gelenkt, die immer wieder neu durch bunte Linien, Quadrate und Kreise musterlich und geometrisch gestaltet werden, eine Hommage an die Formsprache der Modernen Kunst der 1950er- und 1960er-Jahre westlicher Prägung, dem der offizielle sozialistische Realismus zutiefst misstraute – darauf einen Schnaps …
Eine ganz andere Temperatur strahlt einer der Einzelräume aus, den Erasmus Schröter für sich bespielt und den man schnell wieder verlässt oder in dem man lange bleibt: Er versammelt Porträts, die er seit 2011 auf dem jährlichen Gothic-Festival in seiner einstigen und wiedergewonnenen Heimatstadt Leipzig fotografiert hat. Es sind ausnahmslos Männer, die er für seine Serie „Contest“ abgelichtet hat. Die einzelnen Fotos tragen für sich keine Titel, keine Namen der Porträtierten sind zu lesen, auch keine Jahreszahl zeigt an, wann die Bilder entstanden sind.
Es fehlt also etwas zum Festhalten, zum Einordnen als Abwehren, wenn man auf die Personen schaut, wie sie sich in Lack und Leder, geschminkt, frisiert und tätowiert sehr streng vor weißem und blauem Grund offenbaren und nicht einmal das Gesicht verziehen. Es geht dabei nicht um fröhliche Maskerade, sondern es ist der größtenteils unbarmherzige Ernst, der einem hier entgegenspringt und der einen packt und nicht so schnell wieder loslässt.
Das gilt besonders für einen jungen Mann, der scheinbar nur oberflächlich seinen Körper verändert hat, um zugleich einen höchst intensiven Eindruck zu hinterlassen: Sein nackter Oberkörper ist unterhalb des Herzens in eine dünne Plastikfolie gewickelt, quer über seinen Hals ist ein Strich wie ein Schnitt zu entdecken.
Gewiss, es ist Theaterblut, das über den Hals, die Brust und den Bauchbereich gelaufen und mittlerweile etwas angetrocknet ist. Aber das Wissen darum verhindert nicht, dass es einfach wirkt, dass sich hier einer ohne jegliches ironisch-deutbares Hintertürchen als verblutet inszeniert hat, um dem offenbaren Schrecken der Normalität und der Alltäglichkeit zu entgehen. Dass er zugleich nur ein Waschbecken voller Wasser und etwas Seife bräuchte, um sich seiner so kunstvoll inszenierten Identität zu entledigen, zieht den Schrecken ins Groteske.
Auch Annette Schröter hat sich einen Einzelraum gegönnt, auch dieser überzeugt durch die in ihm enthaltene Stringenz bei gleichzeitiger Eigensinnigkeit: „Spaziergang im Schnee für Robert Walser“ ist ihre Auseinandersetzung mit dem Schweizer Dichter, der seine letzten 23 Lebensjahre in einer Heil- und Pflegeanstalt verbringen sollte, ohne noch einmal ein Wort zu schreiben, ohne also noch einmal künstlerisch der Welt entgegenzutreten und der auf einem Spaziergang starb – im Schnee. Sie hat sich mit der Frage nach der Darstellbarkeit von Schnee beschäftigt, zeigt uns vereiste Zäune, schneebeladene Gitter, schneebedecktes Gebüsch, schlicht durchnummeriert sind ihre Bilder: „Schnee 5“, „Schnee 13“, „Schnee 38“.
Mit ihrer Serie „Frauen in Tracht“ greift Annette Schröters das Thema der Individualitätssuche ihres Mannes in seiner „Contest“-Serie auf, nur eben weit und mit malerischen Mitteln: Sie hat fotografische Aufnahmen von Trachtenträgerinnen verfremdet, spielt mit Farben und Mustern, und auch hier erhält die Betrachter*in keine weiteren Informationen über die ursprünglichen Vorlagen, fehlen Angaben, welche Tracht warum wann von wem getragen wurde
Die Ausstellung endet am 9. September.
Zur Ausstellung ist im Verlag für Moderne Kunst ein Katalog erschienen; mit Beiträgen von Uwe Kolbe, Wolfgang Ullrich und Katja Lange-Müller.
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