Ein Placebo in der Politik

Vom Verkauf seiner zweifelhaften Präparate lebt „Dr. Rath“ ganz gut, auch wenn er als „gefährlicher Scharlatan“ gilt. Nun schaltet sich der Pillendoktor in den Wahlkampf ein – in sehr eigener Sache

VON ASTRID GEISLER

Für selbsternannte Heilsbringer sind Bundestagswahlkämpfe seit je begehrte Leistungsschauen. In diesem Jahr hat sich unter die Weltverbesserungskandidaten einer gemischt, der bisher vor allem mit seinen medizinischen Verheißungen Geld und Schlagzeilen gemacht hatte: Matthias Rath, aus der Eigen-PR bekannt als „Dr. Rath“. Der Polit-Neuling verkauft mit seinem „Gesundheitsnetzwerk“ von den Niederlanden aus hochdosierte Vitaminpräparate, die – angeblich – so allerhand lebensbedrohliche Krankheiten besiegen können: Krebs, Aids, Herzleiden, Diabetes. Angesehene Mediziner halten sein Geschäft für Scharlatanerie. Jüngst warnte sogar der Leiter des UN-Aidsprogramms, Peter Piot, vor den dubiosen Vitaminkuren.

Was will der Doktor?

Was verspricht sich einer wie Rath von den Bundestagswahlen? Um den Einzug ins Parlament dürfte es dem Pillendoktor nicht ernsthaft gehen. Die Ende Juni gegründete „Allianz für Gesundheit, Frieden und Soziale Gerechtigkeit“ (AGFG), in der Rath selbst bescheiden als Vizevorsitzender firmiert, wurde mangels Unterstützerunterschriften nur in Sachsen zur Wahl zugelassen. Die Chance auf den Einzug in den Bundestag ist damit gleich null. Und: Rath selbst tritt auch gar nicht an. Auf einem AGFG-Werbezettel heißt es dazu lapidar in einer Fußnote: „Dr. Rath unterstützt diese Partei, kandidiert aber nicht, weil er sich vor allem in Entwicklungsländern engagiert.“

Absolut normal, findet AGFG-Parteichef Lutz Kliche: „Unsere Partei ist schließlich keine Doktor-Rath-Partei.“ Merkwürdig nur, dass der TV-Wahlwerbespot der AGFG dennoch allein auf den Pillendoktor fokussiert ist. Der Zuschauer sieht, wie der Mediziner mit nachdenklicher Miene einen Sandstrand entlangschlendert, er erfährt: „Seit mehr als einem Jahrzehnt setzt sich dieser Mann für Gesundheit und Leben von Millionen Menschen ein.“

Kurt Miller, Direktor der Urologischen Klinik der Berliner Charité und Vorstandsmitglied der Deutschen Krebsgesellschaft, hält Rath für einen gefährlichen „Scharlatan“. Seine Erklärung für die bizarre Polit-Kampagne: „Die Bundestagswerbung passt einfach perfekt in Raths Marketing-Strategie.“ Der Mediziner versuche offenbar, über den parteipolitischen Umweg seine Heilsbotschaften auch ins deutsche Fernsehen zu bringen.

Auf geschäftliche Interessen tippt auch Andreas Schulze, Politikwissenschaftler bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Erfurt und Fachmann für Kleinparteien: Zwar sei die Gründung einer eigenen Partei generell ein teurer Spaß. Rath könne sich davon aber immerhin versprechen, ins Gespräch zu kommen und einem Massenpublikum bekannt zu werden: „Hier hat er für sich eine Lücke entdeckt.“

Die Lücke klafft in den Regelungen für die TV-Spots der Parteien. Was im normalen kommerziellen Werbefernsehen undenkbar ist – Sonderregeln für Parteienwerbung im Wahlkampf machen’s möglich: Im regulären Programm dürfe der selbsternannte Krebsheiler weder für seine Vitaminpräparate noch für seine gesundheitspolitischen Heilsversprechen Werbespots schalten, erklärt Claudia Scheibel von der ARD-Vermarktungstochter. Denn seine Pillen sind auf dem deutschen Markt nicht zugelassen und allgemeine Polit- oder Religions-PR ist im normalen TV-Werbeprogramm nicht zulässig.

Dank der Bundestagskandidatur steht indes auch der AGFG kostenlose Wahlwerbezeit zu. Nur wenn ein Spot gegen das Strafrecht verstößt, dürfen die Sender die Ausstrahlung verweigern – die absolute Ausnahme.

Die Berliner AGFG-Zentrale weist den Vorwurf der Verquickung von Politkampagne und Pillengeschäft zurück: „Es geht uns nicht um irgendwelche kommerziellen Interessen“, sagt Parteichef Kliche. Unbestritten ist aber, dass ein großer Teil der AGFG-Parteifunktionäre – so wie die sächsische Spitzenkandidatin Crista Raderecht – auch als örtliche „Berater“ für Raths Therapiegeschäft aktiv sind. Mit ihrer Parteiarbeit habe das natürlich nichts zu tun, versichert die politisch bisher unerfahrene 12-fache Großmutter aus Dresden, angeblich selbst dank Vitaminkur von ihrem Migräneleiden erlöst: Sie sei zwar am Umsatz beteiligt, aber das sei ja in anderen Firmen ebenfalls üblich. Und: „Wir werden davon nicht reich.“

Woher kommt das Geld?

Wie sich die AGFG finanziert und woher das Geld für die Bundestagskampagne kommt, ist von der Partei nicht zu erfahren. „Wir finanzieren uns wie alle Parteien durch Mitgliedsbeiträge und Spenden“, sagt der Parteichef. Mehr nicht. Heißt der wichtigste Spender, rein zufällig, vielleicht Matthias Rath? Das, beteuert Kliche, könne er derzeit leider nicht sagen: „Ob Doktor Rath zu den Spendern gehört, werden Sie unserem ersten Rechenschaftsbericht entnehmen.“