: „Monster aller Planeten, vereinigt euch!“
Eine radikal linke Haltung und ein Faible für nordische Fabelwesen: der dänische Künstler Asger Jorn in den Hamburger Deichtorhallen
Von Radek Krolczyk
Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie eine dezidiert linke Haltung mit der Vorliebe für nordische Mythologie zusammenpassen könnte. Beim dänischen Maler Asger Jorn soll das aber seit den mittleren dreißiger Jahren gehen. Wie genau, das ist nun in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen. Dort wird im Augenblick eine sehr schöne und dichte Werkschau des politisch engagierten Künstlers gezeigt.
Zu sehen sind neben Ölbildern aus sämtlichen Schaffensphasen auch Decollagen aus Plakaten und die weniger bekannten Tonplastiken, die meist seltsame, fantastische Tiere darstellen. Zu sehen ist aber auch scheinbar Nebensächliches wie die Untergrundzeitschrift Helhesten (Höllenpferd), die Jorn in den 40er Jahren aus dem im Untergrund organisierten Widerstand gegen die deutsche Besatzung herausgab. Dieses Pferd taucht als eine von zahlreichen mythischen Gestalten in Jorns Werk auf. Auf den Titelblättern sind sie abgebildet, statt heroisch und gefährlich, wie es der Name suggeriert, klapprig und doof.
Petra Lange-Berndt vermutet in ihrem Katalogbeitrag, dies sei als Solidaritätserklärung an den künstlerischen Pluralismus gedacht, der im Heft versammelt war, außerdem handle es sich um eine Reminiszenz an den von den Nazis als entartet verfolgten expressionistischen „Blauen Reiter“ und die surrealistischen „Minotaure“. Aus dem Pferd wurde schließlich 1948 Cobra (Copenhagen, Brüssel, Amsterdam), eine internationale Künstlergruppe, die sich der Erschaffung einer neuen Welt verschrieben hatte und aus deren Teilen später die Situationistische Internationale (SI) entstand.
In einer Tischvitrine findet sich in der Hamburger Schau eine auseinandergefaltete Ausgabe der „Mémoires“, die Jorn 1958 während seiner Zeit bei der SI gemeinsam mit Guy Debord produzierte. Das Buch enthält Collagen aus eigenen und in Zeitschriften gefundenen Bildern und Textfragmenten sowie auseinandergeschnittene Stadtpläne. Jorns informelle Farbkleckse und Farbverläufe ziehen eine eigene, persönliche und unkalkulierbare Spur durch das vorgefundene Material, so wird die eigene gegen die vorgefertigte Geschichte behauptet. Um bibliophile Sammler abzuschrecken, war der Einband aus grobem Schleifpapier, der die benachbarten Bücher beschädigen sollte.
Die situationistische Künstlerin und Autorin Michèle Bernstein hatte in Bezug auf Jorns Werk 1960 die Parole ausgegeben: „Monster aller Planeten, vereinigt euch!“ Möglicherweise wäre dies eine Zusammenführung von Jorns radikal linker Haltung und seinem Faible für nordische Mythen und ihre Fabelwesen. Er forschte nach ihnen (und vor allem wohl ihren Abbildern in der archaischen Kunst) und gründete 1961 eigens dafür das „Skandinavische Institut für vergleichenden Vandalismus“.
Das war schon ernst gemeint: Gemeinsam mit verschiedenen Wissenschaftlern sollten 10.000 Jahre Volkskunst nachvollziehbar gemacht werden. In Jorns Werken sind mythische Gestalten, wie sie etwa in der skandinavischen Kultur vorkommen, zentral. Werner Haftmann schrieb 1961 in einem Aufsatz über Jorn, dass der skandinavischen Mythologie alles Heroische und Idealistische fremd sei – ganz anders, als es bei den Germanen der Fall war. Anstelle der Behauptung von festen Größen trete hier die Einbildung.
Das bereits erwähnte „Höllenpferd“, das bei Jorn zu einem schrägen, gefährdeten Individuum wird, ist nur ein Beispiel unter vielen. Das Konzept von Archetypen, wie es von C. G. Jung vertreten wurde, lehnte Jorn übrigens entschieden ab. Tatsächlich ging es ihm sehr direkt um seine mythischen Gestalten und in dieser Bestimmtheit liegt bereits die Abstraktion.
Jorns Versammlung mythischer Figuren, Tiere und Ungeheuer ist die Versammlung der Bedrohten dieser Welt. 1953 malte er noch unter dem Einfluss von Faschismus und Krieg „Emigranterne“ (Immigranten). Jorn hatte auf seiner Leinwand die Zusammenkunft einer Gruppe seltsamer friedlicher Wesen organisiert. In hellen, pastellenen Farben haben sie zueinander gefunden: zwei kleine hockende Gestalten, ein besorgter Großer, ein Ovaler, einer mit langem Hals und einem Kopf wie eine Flunder.
Jorns Leinwand ist tatsächlich eine Blase, in der die vertriebenen Wesen in ihrer Eigenart zur Ruhe kommen. Von der politischen Deutung der Malerei her ist interessant, dass es Jorn auf die Unreinheit der Farben anzukommen scheint. Die Farben, in denen Jorn seine Figuren gemalt hat, sind hell, aber schmutzig. Die Nazis hatten vor Vermischung große Angst, Vermischung aber ist die Grundlage jeden Lebens.
Die Vorstellung dieser anderen Welt schien Jorn zu jeder Zeit von allergrößter Bedeutung gewesen zu sein. In der Ausstellung ist etwa „Jeux Nocturne“ (Nächtliche Spiele) zu sehen, ein großformatiges, farbenfrohes Bild, das Jorn 1940 während der deutschen Besatzung gemalt hatte. Vor tiefschwarzem Himmel und hellbraunem Boden sieht man ineinander verschachtelte Figuren, die stark an Joan Miró erinnern. Sie strahlen aus der Dunkelheit hervor, scheinen in Bewegung zu sein, vielleicht zu tanzen.
Jorn leugnet nicht die politische Depression, die ihn selbst später depressiv werden ließ. Er setzt sie in seine Bilder, zugleich setzt er eine Vorstellung von dem, was möglich wäre, dagegen.
Bis 23. September, Deichtorhallen, Hamburg, Katalog (Snoeck Verlag) 39,80 Euro
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