piwik no script img

Wo der Dreck gut sichtbar wird

Seraphina Lenz und Michael Bause untersuchen in ihrer Ausstellung „Weiß, weiß ich“ in der galerie weisser elefant in Mitte auf engstem Raum eine Farbe mit maximalem Erkenntnisgewinn

Weiß klingt nach Reduktion, aber es entfaltet sich ein großes Spektrum

Von Katrin Bettina Müller

Das kriegt man nicht aus dem Kopf, die Assoziationen. Ist Weiß die Farbe der Unschuld? Der Jungfräulichkeit? Die jungen Mädchen, die in langen weißen Spitzenkleidern auf einer Wiese lagern, zwischen üppig wachsenden Sommerblumen, und still in die Kamera blicken, sehen sie nicht aus wie junge Bräute, etwas bange vor der nahen Zukunft?

Gefilmt hat sie Seraphina Lenz, als Teil eines Sommerworkshops, den sie über zehn Jahre für Anwohner eines Parks anbot, der auf einem Stück einer Autobahnüberbauung in Neukölln entstanden war. Und weil sie die Mädchen gut kannte, weiß sie auch, dass das Bild auf der Wiese, das an romantische Inszenierungen erinnert, so gar nicht dem Temperament der jungen Neuköllnerinnen entsprach. Lieber wollten sie toben und Fußball spielen, was sie schließlich in den langen weißen Spitzen- und Rüschenkleidern auch taten. Deshalb hängen über einem Paravent vor dem Video „Weiße Kleider Performance“ die angedreckten Kleider, die Säume durch Staub gezogen. Wo viel Weiß ist, wird auch der Dreck gut sichtbar, das ist einer der Fakten, die Seraphina Lenz interessieren. Dass sie in der galerie weisser elefant in Mitte ausstellen kann, nahm die Künstlerin zum Anlass, sich erstens selbst zu fragen, was sie eigentlich mit der Farbe Weiß verbindet und wie sie sie benutzt. Und, zweitens, den Künstler Michael Bause einzuladen, sie bei ihrer Weißforschung in der Ausstellung zu begleiten. So lassen sich die beiden in der Ausstellung „Weiß, weiß ich“ ein wenig über die Schulter gucken.

99 Bezeichnungen

Materialsammlungen sind zu sehen, die den Umgang mit Weiß bezeugen ,und die davon angestoßenen Ideenfindungen. „Wolke“ heißt eine Arbeit von Michael Bause, keine gemalte oder fotografierte Wolke, sondern ein lose über die Wand flatterndes Feld von Wortkarten mit 99 unterschiedlichen Bezeichnungen für Nuancen von Weiß. Reinweiß, Schlohweiß, Albinoweiß, Hermelinweiß. Manchmal heißt die Farbe nach einer Stadt, in der sie hergestellt wurde. Manchmal nach einer Geschichte. So driften kleine enzyklopädische Assoziationen auf dieser Wolke. „Wolke“ ist für die Ausstellung entstanden, eine weitere passende Arbeit fand Bause in seinem Archiv. Für die Aufgabe „Fotosequenz“ ging er in einen Park, drapierte Tücher über Büsche und fotografierte in Schwarzweiß. Immer näher rückt die Kamera, immer mehr rücken auch die Tuchgestalten zusammen, wie eine Familie von Gespenstern, die sich in der Dämmerung am Waldrand trifft.

Weiß als Thema, das klingt zunächst nach Reduktion, aber beim Rundgang durch die Räume der kommunalen Galerie, die teils schmal wie ein Handtuch sind, entfaltet sich ein großes Spektrum. In einem der Räume hängt nur ein „Weißes Polaroid“ von Bause in einem schmalen silbernen Rahmen. Es lebt von den Proportionen, die bescheiden und elegant wirken, und vom Bezug auf die Kunstgeschichte und „Das schwarze Quadrat“ von Malewitsch.

So hat jeder Raum jeweils einen eigenen Kontext, der Bedeutungen anbietet. „Der Elefant ist gestorben, das Einhorn lebt“ hat Seraphina Lenz einen Raum betitelt, der mehrere Skulpturen, die auch als biologische Modelle gelesen werden könnten, beherbergt. Jede der Arbeiten hat eine andere Weise des Bezugs auf die reale Welt. Eine abstrakte Form erhält durch den Titel „Schoß“ eine Referenz auf den Körper, andere Formen verweisen auf Zellformationen und sind aus ähnlichen Elementen gebaut wie eine Skulptur, die „Klassische Moderne“ heißt. Die Kunst und ihre Geschichte wird in diesem Kontext mal eben so unter die Naturgeschichte und Zeugnisse der Evolution gereiht. Das ist schön lapidar und unaufgeregt, aber auch von einem feinen Witz.

„Weiß, weiß ich“, galerie weisser elefant“, Auguststraße 21, bis 8. September.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen