Ein „chief scientist“ am Kabinettstisch

DFG-Präsident Winnacker will mehr Kompetenz in der Regierung. Sein Vorschlag: ein Chefforscher mit Ministerrang

BERLIN taz ■ Der Mann ist sauer. Monate hatte Deutschlands Chefforscher, Ernst-Ludwig Winnacker, damit zugebracht, die Elitemilliarden für die Hochschulen zu organisieren. Dann musste der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) feststellen: Es war alles umsonst. Ein einziger Ministerpräsident kann ein lange geplantes und sinnvolles Vorhaben torpedieren.

Die 1,9 Milliarden Euro für Eliteuniversitäten sind zwar dennoch Wirklichkeit geworden; Bund und Länder hatten sich kürzlich geeinigt, der Elitewettbewerb läuft bereits. (taz v. 24. 8.) Aber ein Tohuwabohu wie bei den Eliteunis will Winnacker nicht noch einmal erleben. Daher fordert der DFG-Präsident, die Stelle eines Chefforschers einzurichten – der am Kabinettstisch der Bundesregierung Platz hat und direkt der Bundeskanzlerin zugeordnet ist.

Ein Chief Scientist Adviser, sagte Winnacker dem Handelsblatt, „soll dafür sorgen, dass Entscheidungen der Regierung den neuesten Stand der Forschung berücksichtigen“. Aktuelles Beispiel: die Vogelgrippe. Bei diversen Tierseuchen hat sich gezeigt, dass die vielen beteiligten Ministerien größte Probleme haben, sich schnell und effektiv zu koordinieren. Hätte ein Chefforscher Kabinettsrang, besäße er die Autorität, Abstimmungsschwierigkeiten zu vermeiden.

Aber Winnacker geht es um mehr, als dem oder der KanzlerIn eine wissenschaftliche rechte Hand zu geben. Wissenschaft spielt gesellschaftlich und wirtschaftlich eine immer größere Rolle – ist aber politisch in Deutschland von Besorgnis erregender Irrelevanz. „Natürlich kann es nicht schaden“, so Winnacker mit Blick auf die Herkunft der Kanzlerkandidatin Angela Merkel, „wenn ein Kanzler Naturwissenschaftler ist“. Aber Fragen wie Demografie, Gentechnik oder Atomenergie würden anders diskutiert, wenn ein Forscher am Kabinettstisch säße.

Vorbild für Winnackers Vorstoß ist Tony Blair, der einen chief scientist neben sich hat – und viel mehr Geld in die Forschung steckt. Während Blair die britischen Forschungsetats bis 2007 verdoppelt haben wird, führen solche Ideen in Deutschland zum Streit zwischen Bund und Ländern. Die Föderalismuskommission war Ende letzten Jahres daran gescheitert, dass den unionsregierten Länder die Milliardenspritzen des Bundes für Ganztagsschulen und Eliteunis ein Dorn im Auge waren. CIF