berliner szenen
: Ein Späti als super Arbeitsort

Tatsächlich habe ich noch nie einen Sommer in Berlin verbracht. Als Kind war ich immer auf dem Land, seit ich allein reisen darf, bin ich immer bereits zu Beginn des Sommers ins Ausland geflohen.

Dieses Jahr allerdings bin ich gezwungen, in der Stadt zu bleiben und durchzuarbeiten: Selbstständigenschicksal. Ich überrede meine beste Freundin, mir in meinem sommerlichen Arbeitsbootcamp Gesellschaft zu leisten. Sie lebt in München und ist festangestellt, darf Schreibkram aber im Homeoffice erledigen.

Mit ihr zusammen entdecke in das Arbeiten im Freien noch einmal neu. Allein fühle ich mich blöd, mit einem Laptop in eine Bar oder Kneipe zu gehen, und arbeite meist in Parks. Zu zweit gehen wir mit unseren Laptops ins Café des Quasimodo und anschließend im Keller tanzen, oder wir arbeiten im Wald am Hundekehlesee und springen zwischendrin ins Wasser.

Als bester Arbeitsort aber stellt sich ein Späti in der Kantstraße heraus. In unseren Arbeitspausen erfahren wir von einem Polizisten etwas über Cyberkriminalität und versuchen uns mit einem Betrunkenen am Nachbartisch an einer Liste der zehn besten Bücher.

Nebenbei beobachten wir das missglückte Date des Späti­besitzers: Er hat eine Frau zum Essen eingeladen, traut sich aber, obwohl er sie offensichtlich anhimmelt, nicht an ihren Tisch und muss mit­ansehen, wie sie nach einer Stunde einen Flirt mit einem Taxifahrer beginnt und am Ende betrunken in dessen Taxi steigt.

Nach einer Woche gemeinsamen Schreibens, Schwimmens, Tanzens und vieler seltsamer Begegnungen bin ich mit meinem Sommer versöhnt: Mit den richtigen Freunden lassen sich doch überall Abenteuer erleben. Und heißer als in Portugal ist es hier in Berlin auch.

Eva-Lena Lörzer