Eine Stadt ertrinkt

VON MICHAEL STRECK

Glück im Unglück. Vielleicht lässt sich so am besten die Lage in New Orleans beschreiben, nachdem am Montag der Wirbelsturm „Katrina“ doch noch knapp an der Stadt vorbeifegte. Das Fazit gilt zumindest vorerst. Denn alles hängt davon ab, ob die Wasserpegel – ausgelöst durch Regen und Flutwellen – weiter steigen oder fallen, Dämme halten oder brechen.

Ein Vorgeschmack darauf, dass das Schlimmste noch längst nicht ausgestanden ist, gab es am Dienstagnachmittag, als ein Deich brach, der die Innenstadt vor dem nördlich gelegenen See Pontchartrain schützt, ein Krankenhaus überschwemmte und sich weiter nach Downtown ergoss. „Das Wasser steigt so rasch, ich kann gar nicht beschreiben, wie schnell es ansteigt“, sagte ein Helfer der Rettungsmannschaften.

Die Stadt, ihre Vororte, vor allem aber auch jene östlich gelegenen Gebiete, die vom Sturm direkt getroffen wurden, bilden ein Bild der Verwüstung. 67 Tote sind bislang gezählt. Rund 40.000 Häuser stehen nach Schätzungen unter Wasser. Zwanzig größere Gebäude in der Innenstadt stürzten ein. Bürogebäude sehen aus, als wären Bomben detoniert. Eine Million Menschen sind ohne Strom.

„Ich habe keine guten Nachrichten“, verkündete Bürgermeister Ray Nagin am Morgen danach. 80 Prozent der Stadt stünden unter Wasser, in manchen Teilen bis zu sechs Meter. Boote haben Autos als Fortbewegungsmittel abgelöst. Nur das kleinräumige French Quarter, jenes Flanier- und Vergnügungsviertel, sonst überwiegend von Touristen aufgesucht, blieb relativ intakt. Lediglich einige Scheiben gingen zu Bruch, einige Dächer wurden abgedeckt.

Das gesamte Ausmaß des Sturmes ist noch nicht absehbar. Nachdem er am Montag mit Geschwindigkeiten von über 200 Stundenkilometern auf die Küste prallte, bis zu sieben Meter hohe Wellen gegen die Küste peitschte und mit Regenwänden den Tag verdunkelte, sind viele Landstriche weiterhin überflutet und von der Außenwelt abgeschnitten. Daher konzentriert sich zunächst alles auf Such- und Rettungsaktionen. Hunderte Menschen harrten noch auf Dächern oder in eingeschlossenen Häusern aus. Fernsehstationen berichteten von Leichen, die im Wasser trieben. Das amerikanische Rote Kreuz kündigte die wohl größte Hilfsaktion seiner Geschichte an. In der betroffenen Region werden bereits jetzt 75.000 Menschen in 240 Notquartieren untergebracht. Regierungsbehörden forderten die Einwohner von New Orleans auf, wenigstens eine Woche lang nicht in ihre Wohnungen zurückzukehren. Gesundheitsämter warnen derweilen vor Krankheiten und Seuchen. Die sumpfige Landschaft, das feucht-heiße Klima kombiniert mit der zu erwartenden Brühe aus Müll und Abwässern bilden hierfür einen idealen Nährboden. Zudem ist die Infrastruktur faktisch zusammengebrochen. Es fehlen Trinkwasser, Benzin, Strom.

Während sich angesichts der Katastrophe Präsident Bush Rettung und Gnade vor allem vom Allmächtigen erhofft und seine Landsleute zum Beten aufruft, fordern eher am Diesseits interessierte Politiker und Experten endlich ein rigoroses Umdenken in der Stadtplanung und beim Landschaftsschutz. Im Blickpunkt stehen dabei die ursprünglichen Feucht- und Überschwemmungsgebiete des Mississippi, die es wiederherzustellen gelte, um den natürlichen Schutz gegen Wassermassen zurückzuerlangen.

Der Fluss transportierte früher riesige Sedimentmengen zum Golf von Mexiko, wo sie im Delta abgelagert wurden. Dadurch wurde nicht nur eine Barriere zum Meer aufgebaut, sondern zugleich die Küstenebene stabilisiert. Jahrzehntelang wurde der mächtigste Fluss der USA kanalisiert, in neue Betten verlegt, um ihn für die Fracht- und Containerschifffahrt zu nutzen. Die Konsequenz: Das Delta schrumpfte dramatisch, die Pufferzone verschwand, das Land sank. Im Durchschnitt liegt es heute rund einen Meter unter dem Niveau vor einhundert Jahren – ein gefährliches Einfallstor für das Meer. „Es gibt praktisch keinen sicheren Ort in der Stadt, der höher liegt und ausreichend Schutz bietet“, konstatiert Shirely Laska, Direktorin vom Center for Hazard Assessment an der University of New Orleans.

Die Stadt, eine der ärmsten Kommunen in den USA, sei finanziell überfordert und infrastrukturell völlig unzureichend auf Stürme dieser Dimension vorbereitet. „New Orleans muss lernen, sich um seine Umweltsituation zu kümmern, wenn es überleben will“, rät die New York Times. Das Bewusstsein hierfür ist seit Jahren vorhanden. Allein es fehlte bislang der politische Wille. In der Stadt, aber auch in Washington wird über einen gigantischen Rettungsplan für das Mississippi-Delta debattiert, der 14 Milliarden Dollar, auf 40 Jahre verteilt, kosten soll. Es wäre das größte Umweltschutzprojekt in den USA nach der Rettung der Everglades in Florida. Schließlich steht mehr als Fischerdörfer und Tourismuseinnahmen auf dem Spiel.

Es geht um einen der wichtigsten Standorte der US-Energiewirtschaft. Solange das Vorhaben nur von Umweltorganisationen propagiert wurde, beschäftigten sich allenfalls Akademiker mit dem Thema. Seit letztem Jahr rückte es jedoch auch ins Blickfeld der Industrie, nachdem Öl- und Chemiefirmen ihre Produktionsstätten aufgrund steigender Hurrikanzahlen erstmals auch gefährdet sahen.

Noch konnte sich der US-Kongress nicht auf das Milliardenvorhaben einigen. Immerhin erreichte die einflussreiche demokratische Senatorin Mary Landrieu aus Louisiana, die mittlerweile selbst das Lied vom Zusammenspiel von Klimawandel, Meeresspiegelanstieg und Flusszerstörung singt, dass die Parlamentarier in der US-Hauptstadt im jüngst verabschiedeten Energiegesetz 1 Milliarde für die Renaturierung des Deltas lockermachten.

Wer aber glaubte, dass „Katrina“ im Weißen Haus oder auch im Kongress Anstoß zu einem Umsteuern in der nationalen Klimaschutzpolitik gebe, muss sich enttäuscht sehen. Hier gilt weiter „Augen zu und durch“, auch wenn viele Wissenschaftler darauf hinweisen, dass ein steigender Meeresspiegel kombiniert mit wärmeren Karibikwasser gewaltige Hurrikans wahrscheinlicher mache.

„Katrina“ trage „die klare Handschrift der Erderwärmung“, meint Kevin E. Trenberth vom National Center for Atmospheric Research. Sie sei vielleicht nicht der dominante Faktor, aber der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen könne. „Und dies ist kein gutes Omen für New Orleans.“