Die HHLA geht fremd

Mit dem Kauf eines Hafens in Estland verabschiedet sich Hamburgs Hafenbetreiber HHLA langsam aus Hamburg. Das Traditionsunternehmen will künftig noch globaler agieren

Die Arbeit der HHLA-Mitarbeiter auf dem Burchardkai will weiter getan sein – auch wenn die Unternehmensspitze neue Ziele im Augen hat Foto: Foto:Marcus Brandt/dpa

Von Hermannus Pfeiffer

Hamburgs Hafenbetreiber HHLA macht sich unabhängiger von seiner Heimat an der Elbe. Im Juli hat die Hamburger Hafen und Logistik AG, so der vollständige Name, die Verantwortung für den größten Terminalbetreiber in Estland übernommen. Transiidikeskuse AS (TK) gehört nun zu 100 Prozent dem teilstaatlichen Hamburger Hafenlogistiker. Über den Preis herrscht Stillschweigen. Der Kauf, freut sich HHLA-Chefin Angela Titzrath, sei „ein erster Schritt zur Umsetzung unserer Strategie“.

Doch welche Strategie verfolgt der Platzhirsch im Hamburger Hafen, wenn er sich Häfen im Ausland einverleibt? Der zugekaufte Terminal in Muuga liegt wenige Kilometer von der alten Hansestadt Tallinn entfernt am Finnischen Meerbusen. Dort könnte einmal ein Abzweig der chinesischen „Neuen Seidenstraße“ enden. Die HHLA-Strategen sehen in dem gesamten regionalen Markt ein großes Potenzial. Und wollen dieses bestmöglich ausschöpfen.

Der Trend geht zu einem zweiten Standort

Andere Terminalbetreiber gönnen sich schon länger mehrere Standorte. So betreibt die Nummer zwei im Hamburger Hafen, die Bremer Eurogate, die „Suprastruktur“ in einem Dutzend Häfen in Marokko, Portugal, Spanien, Italien, Zypern und Iran. Darunter fallen beispielsweise Kräne, Kühlhäuser und Bürokomplexe. Im Unterschied dazu wird die Infrastruktur, wie etwa der Unterhalt der Kaimauern und des Hafenbeckens, in Europa meist von der öffentlichen Hand finanziert. So ist das bislang auch im Hamburger Hafen üblich.

Noch präsenter in Europa ist Dänemarks wirtschaftliches Aushängeschild „Maersk“. Die A.-P.-Moller-Maersk-Group gilt als die größte Reederei der Welt, ihr gehört unter anderem die Reederei Hamburg Süd. Der dänische Multi, der sich von seiner Erdölförderung getrennt hat, um sich ganz auf die Logistik „von Haus zu Haus“ zu konzentrieren, ist Eigentümer von 74 Terminals in 58 Ländern. Zwei Dutzend davon in Wilhelmshaven, Rotterdam und anderen europäischen Häfen.

Hamburgs Nummer eins – 2017 wurden 6,9 Millionen Standardcontainer (TEU) umgeschlagen – ist auf diesem maritimen Spielfeld nur ein kleiner Akteur. Zwar betreibt die HHLA seit Jahren einen Terminal in Odessa am Schwarzen Meer. Doch dieser liegt an einem Randmeer, abseits der globalen Warenströme. 2017 wurden kaum 300.000 Boxen abgefertigt.

Hamburgs Überseehafen hatte nach 1990 einen rasanten Aufschwung erfahren. Die Öffnung nach Osten, der Aufstieg Chinas und die Globalisierung der Wirtschaft bescherten lange Zeit hohe Wachstumsraten. Doch nicht erst seit Trumps Handelskrieg mit Iran, China und Europa stagnieren wichtige Umschlagsegmente nahezu. Viele Ökonomen erwarten, dass die Globalisierung ihren Zenit überschritten hat. Reedereien und Logistikkonzerne stehen, auch durch eigene Überkapazitäten, stark unter Druck. Und reichen diesen an die Häfen weiter.

Für Terminalbetreiber wie die HHLA heißt dies, dass relevantes nachhaltiges Wachstum nur noch durch Zukäufe von Konkurrenten oder den Ausbau des eigenen Hinterlandverkehrs möglich scheint. So verbindet die HHLA-Tochter Metrans die Seehäfen an der Nordsee mit Bayern und der Schweiz, der Adria und Osteuropa. Metrans betreibt dazu kleinere Inland-Terminals, wickelt den Zoll ab und organisiert die letzte Meile zum Empfänger per Lkw.

Aber auch im Hinterlandverkehr wird der Konkurrenzkampf härter. So berichten Reederei-Manager, dass chinesische Firmen versuchen, die klassischen Schifffahrtsrouten umzuleiten. Bislang fahren die dicken Pötte aus Asien auf der sogenannten Nordrange über Rotterdam, Antwerpen nach Bremen und Hamburg. In diesen „Hubs“ wird die Ladung in kleinere Feeder-Schiffe und Bahnzüge umgeladen, die den Ostseeraum und fast ganz Europa versorgen.

Mittlerweile lassen Reedereien, die zugleich Terminals besitzen, auch Riesenschiffe mit 20.000 Boxen direkt in die Ostsee oder ins Mittelmeer steuern. So soll die chinesische Staatsreederei Cosco planen, zukünftig den Balkan und Osteuropa über das eigene Terminal im griechischen Piräus abzudecken, und von italienischen Häfen aus soll Süddeutschland beliefert werden.

Ob Zukauf von Terminals oder Ausbau des Hinterlandverkehrs, ein Ende ist nicht in Sicht. „Der Markt war in den vergangenen Jahren immer in Bewegung und das wird auch so weitergehen“, mahnt Daniel Hosseus, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS).

„Mit dem Kauf von Transiidikeskuse stellt sich die HHLA breiter auf“, lobt Wolfgang Donie, Analyst bei der NordLB. Und reagiere damit auf die Unsicherheit, wie es mit Hamburg weitergehe: „Eine Wette auf die Zukunft.“ Allerdings keine große, denn Transiidikeskuse mit seiner Umschlagkapazität, die nach einem Ausbau 800.000 TEU betragen könnte, koste „keine Riesensumme“.

Die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), 1885 als Hamburger Hafen- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft gegründet, ist das größte Umschlagsunternehmen im Hamburger Hafen.

Die HHLA betreibt drei der vier Containerterminals im Hafen: Altenwerder, Burchardkai und Tollerort. 2017 wurden hier rund 6,9 Millionen Standardcontainer (TEU) umgeschlagen.

Einziger Konkurrent ist Europas größter Hafenlogistiker, die Bremer Eurogate-Gruppe, mit 14,4 Millionen TEU Umschlag 2017. In Hamburg betreibt sie einen Terminal, der 2017 knapp 1,7 Millionen TEU umschlug.

Bis 2007 war Hamburg Alleininhaberin der HHLA. Bei einem Börsengang wurden 32 Prozent der Aktien für etwa eine Milliarde Euro an private Anleger verkauft.

Der Kauf bedeutet einen Paradigmenwechsel

Um im internationalen Konkurrenzkampf der Häfen mitzuhalten, hatte der langjährige HHLA-Chef Klaus-Dieter Peters vor allem auf die Hinterlandanbindung mit eigenen Tochtergesellschaften gesetzt. Damit saß er mit roten wie schwarzen Senaten in einem Boot: Wachstum der HHLA bedeutete auch Wachstum für den Hafen. Die Beteiligung in Odessa hatte sich eher zufällig aus einer Beratungstätigkeit in den 1990er-Jahren entwickelt. Beobachter sehen in dem Kauf von TK in Estland daher tatsächlich einen „Paradigmenwechsel“ im Geschäftsmodell der HHLA.

Dieser Einschätzung widerspricht Lars Neumann, HHLA-Leiter der Vorstandsprojekte und Geschäftsentwicklung, nicht wirklich. Die Strategie, international wachsen zu wollen, sei jedoch schon lange verankert. „Mit der Übernahme von TK haben wir dieser angekündigten Zielsetzung nun Taten folgen lassen“, sagt der HHLA-Stratege der taz. Der Logistikkonzern bleibe ein Hamburger Unternehmen, das in Europa zu Hause sei und global agiere.

Einen schleichenden Bedeutungsverlust Hamburgs für die HHLA sieht Neumann „keinesfalls“. Das zeige allein die Absicht, in „unseren bestehenden Kern“ in den nächsten fünf Jahren eine Milliarde Euro zu investieren. „Um unsere Position und die des Hamburger Hafens weiter zu stärken.“

Doch die HHLA will auch zukünftig die Möglichkeit von Zukäufen in attraktiven Wachstumsmärkten prüfen. Ob das dann im Sinne der Hamburger ist, ist fraglich.