Stille, Sturm und Toben

Für Seebären, Strandläufer und Romantiker: Die Ausstellung „Seestücke“ in der Kunsthalle bietet viele Facetten

Von Christian T. Schön

Was ist das Meer? Ein Ort für romantische Empfindungen: die Einsamkeit, die Ruhe, die Weite, die Ewigkeit, Zirkel und Dimension des Lebens. Mit etwas Glück hebt sich ein Mast über den Horizont, einsam gegen die Gewalten der Natur, Sinnbild des Lebens. Ein Sturm, das Schiff in den Wellen kentert, zerbirst, explodiert.

Kontemplation und Drama – mit dieser Spannweite wartet die Ausstellung Seestücke in der Hamburger Kunsthalle auf. Erstmals haben die Ausstellungsmacher das Thema „maritime Malerei“ oder „Seestücke“ wissenschaftlich erforscht und in insgesamt sechs Kapitel geordnet. Die sogenannten „Seestücke“ gelten als Unterkategorie der Landschaftsmalerei – und ob auf dem Wasser oder an Land: Niemals zeigen die Werke das Meer allein.

Die Ausstellung empfängt mit den entspannten Werken von Max Liebermann und Max Slevogt. Motive an der Alster, am Strand, auf der Elbe sind hier zu sehen. „Arbeit“ und „Freizeit“ stehen im Vordergrund. Wer der Geschichte chronologisch folgen will, muss sich durch ein Meer von versetzten, hell- und dunkelblauen und -grauen Ausstellungswänden manövrieren und gelangt in einen fast andachtsvollen Raum mit Werken von Caspar David Friedrich. An der dortigen Stirnwand legen vier Gemälde die Interpretation der Ausstellungsmacher rund um die See aus: das Schiff in Fahrt, der Alltag am Meer, das Freizeitvergnügen am Wasser. Rechts daneben hängt Johan Christian Dahls Segler bei Rügen. Wo auf Friedrichs Gemälden Stille herrscht, da schlägt hier das Meer Wellen, die Gischt spritzt hoch. Dahl öffnet ein neues Kapitel – Sturm und Untergang. Die Natur drückt zurück gegen den Menschen, der sich mit der Gottesgewalt messen will und seine technischen Innovationen gegen sie ins Feld führt: Dreimaster, Raddampfer, Kriegsschiff – das Meer offenbart sich ihnen allen roh. Hermann Rudolph Hardorff und Andreas Aschebach wiederum haben Schiffsuntergang, Rettungsversuche und Explosionen spektakulärer in Szene gesetzt. Auch im Zeitalter der digitalen Animation schlagen ihre Werke noch in Bann.

Ihren Anfang nahm die maritime Malerei im 17. Jahrhundert in den Niederlanden. In Deutschland wurde sie von der Kopenhagener Kunstakademie geprägt – doch erst im 19. Jahrhundert. Caspar David Friedrich war der erste, der dem Sujet der Seestücke einen Großteil seines Schaffens widmete. Die, die ihm nachfolgten, erweiterten die Motivpalette: Spazieren am Strand, die Häfen der Küste, die Masten, Seile, Reepen der Boote – und immer wieder natürlich Sonnenuntergänge, Einsamkeit, Horizont.

Um 1900 rissen Leopold von Kalckreuth und Friedrich Kallmorgen den bei Friedrich noch flachen Horizont dann bis knapp unter den Bildrand hoch. Auch bei den Expressionisten, die gerne an die Nord- und Ostsee reisten, nimmt das Wasser später fast die gesamte Bildfläche ein.

Die glatten Wasser- und Strandflächen, die dreieckigen Segel, die Lyonel Feininger noch als ideale Motive für die ersten kubistischen Arbeiten dienten, versinken bei Emil Nolde schließlich in den tobenden Lichtreflektionen von Gischt, Sonne und Mond. In Hamburg hängen ihre Arbeiten – sehr aufgeräumt – zusammen mit Kirchner, Beckmann und anderen. Anders als im ersten mit Friedrich und Dahl bestückten Raum lässt sich die folgende Entwicklung der maritimen Malerei hier nicht anhand der Werke ablesen. Auch die Ausstellungsmacher können sie nur kurz im Katalog erwähnen: Die Nazis setzten „Seestücke“ ein (wie Wilhelm II. zuvor), um ihre vermeintliche Seemacht zu heroisieren und propagieren.

So 10–18, Do 10–21 Uhr, Kunsthalle. Die Ausstellungslaufzeit wurde bis zum 18. 9. verlängert