Merkel geht zum Griechen

STIPPVISITE Viele Bürger werden protestieren

ATHEN/BERLIN taz | Große Hoffnungen braucht in Griechenlands Hauptstadt niemand mit Angela Merkels Besuch zu verknüpfen: Mehr als warme Worte wird die Bundeskanzlerin nicht finden für den „anspruchsvollen Reformkurs, den sich die griechische Regierung vorgenommen und zum Teil begonnen hat umzusetzen“, wie Merkels Sprecher sich gestern ausdrückte.

Immerhin: Die Kanzlerin trifft sowohl Unternehmer als auch Gewerkschafter – beide Seiten, die es für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg braucht. Aber bevor die Regierung von Antonis Samaras neue Kredite erhält, müsse der positive Bericht der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank EZB und Internationalem Währungsfonds IWF vorliegen, so Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Hat Griechenland zu viel gelitten oder zu wenig geleistet? Kein anderes Industrieland hat jemals zu Friedenszeiten sein Defizit binnen so kurzer Zeit derartig gekürzt: Seit 2009 hat Athen Einschnitte und Steuererhöhungen in Höhe von über 20 Prozent der Wirtschaftsleistung vorgenommen. Sollte auch das aktuelle, umstrittene Sparpaket – mindestens 11,6 Milliarden Euro – verabschiedet und realisiert werden, dann hätten die Griechen bereits zwei Drittel des Wegs hinter sich.

Bluten müssen Arbeiter, Angestellte und Rentner

Aber Athen hat Schwierigkeiten, die Sparmaßnahmen zu legitimieren. Die Bürger haben das Gefühl, dass wieder einmal die „üblichen Verdächtigen“ bluten müssen: Arbeiter, Angestellte und Rentner. Deshalb will das ganze politische Spektrum den Merkel-Besuch für ihren Protest nutzen.

Die bereits 2010 in Aussicht gestellten 50 Milliarden Euro aus dem Verkauf von Staatsvermögen lassen derweil auf sich warten. Premier Samaras macht den Eindruck, als wolle er Privatisierungen voranbringen; geschehen ist jedoch noch nicht viel.

Auch die Verschlankung des Staatsapparats bleibt vorerst Papier. Ursprünglich sollten 150.000 Beamte entlassen werden, mittlerweile sind es nur noch 15.000. Mitunter wird vorgeschlagen, „Überflüssige“ nicht wirklich rauszuschmeißen, sondern zu versetzen oder in Frührente zu schicken – was nicht dem Sparprogramm entspricht.

Ebenfalls nicht voran kommt die Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Stattdessen flüchtet die Regierung immer wieder in Steuererhöhungen, die alle treffen – mit dem Ergebnis, dass wieder die wirtschaftlich Schwachen zahlen müssen. Jüngstes Beispiel: die angepeilte Besteuerung aller Freiberufler mit 30 bis 35 Prozent bei gleichzeitiger Abschaffung des geltenden Steuerfreibetrags. Offizielle Begründung: Unter Freien sei die Steuerhinterziehung besonders verbreitet. Das stimmt – ebenfalls, dass die allermeisten Freiberufler von der Hand in den Mund leben und nur deswegen einen freien Beruf ausüben, weil kein anderer Job zur Verfügung steht. UFO, JP