piwik no script img

Micha BrumlikGott und die WeltDie Antwort auf Judenhass darf nicht die Neuauflage des McCarthyismus sein

Antisemitismus war eine der Ursachen des Menschheitsverbrechens des Holocaust, dem sechs Millionen europäischer Jüdinnen und Juden zum Opfer fielen – verübt von Deutschen und ihren Kollaborateuren. Daher steht außer Frage, dass Judenhass in all seinen Schattierungen kompromisslos zu bekämpfen ist. Das gilt auch für jene Formen, die als „israelbezogener“ Antisemitismus bezeichnet werden, da sie den Staat und seine Politik dämonisieren. Etwa, wenn das israelische Besatzungsregime im Westjordanland mit der Naziherrschaft gleichgesetzt wird oder der Heidelberger Theologieprofessor Ulrich Duchrow den Staat Israel als Inbegriff des Kolonialismus bezeichnet. In einer Festschrift schrieb er: „Im westlichen Imperium ist Israel also das Extrem der westlichen kolonialistischen, kapitalistischen, imperialen, wissenschaftlich-technischen gewalttätigen Eroberungskultur der letzten 500 Jahre.“

Freilich darf Judenhass trotzdem nicht so bekämpft werden, dass darüber die liberale Kultur dieser Gesellschaft zerstört und ein neuer McCarthyismus gefördert wird: mit Gerüchten sowie der Zuschreibung von Kontaktschuld.

Es gibt gute Gründe, die israelkritische BDS-Bewegung und nicht wenige ihrer Anhänger für antisemitisch zu halten, aber auch Argumente, mindestens die 2005 erschienenen Gründungsdokumente dieser gewaltfreien Bewegung davon auszunehmen – sogar, wenn sie einen jüdischen Nationalstaat zugunsten eines Staates aller seiner Bürger ablehnen.

Und es gibt eben auch viele Beispiele für den neuen McCarthyismus.

Erstens: Im April 2017 bewirkte die evangelische Kirche Bayerns, dass ein in der Akademie Tutzing seit Langem geplantes Seminar israelischer und palästinensischer Friedensgruppen von heute auf morgen abgesagt wurde. Der Anlass: Eine der Mitveranstalterinnen, Judith Bernstein, soll sich positiv zu BDS bekannt haben.

Zweitens: Im Juni dieses Jahres wurde die Botschaft des Staates Israel bei den Universitäten Stuttgart-Hohenheim und Tübingen vorstellig, um einen Vortrag des an der University of Exeter lehrenden jüdischen, israelischen Historikers Ilan Pappe zu verhindern. Pappe vertritt mit seriösen Argumenten die These, dass die israelische Armee 1948 gezielt Palästinenser vertrieben hat. Der Eingriff der Botschaft in die akademische Freiheit blieb erfolglos.

Drittens: Am 16. Juli 2018 berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass das Jüdische Museum Berlin den palästinensischen Friedensforscher Sa’ed Atshan von einem seit Langem angekündigten Vortrag „Being Queer and Palestinian in East-Jerusalem“ ausgeladen hat. Der israelische Botschafter Jeremy Issacharoff – er steht unter Druck, weil sein Sohn in der besatzungskritischen NGO „Breaking the Silence“ aktiv ist – bestätigte dies und begrüßte die Ausladung, da Atshan „sehr eng mit der BDS-Bewegung verquickt“ sei. Belegt scheint zu sein, dass Atshan Israel als „Apartheidstaat“ bezeichnet hat.

Viertens: Der Stadtrat von München hat mit den Stimmen von CSU, SPD und Grünen einen Beschluss gefasst, alle Aktivitäten BDS-naher Gruppen oder Personen zu unterbinden. So heißt es in einer Sitzungsvorlage vom 11. 7. 2017: „Die Landeshauptstadt München unterstützt keine Veranstaltungen in Form von Zuschüssen oder Raumvergaben, die für BDS werben oder die von Personen oder Organisationen veranstaltet werden, die auf der BDS-Unterstützerliste stehen.“ Der Beschluss widerspricht jedoch Paragraf 21(5) der „Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern“, wo es heißt: „Die Benutzung der öffentlichen, dem Gemeingebrauch dienenden Einrichtungen steht nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften jedermann zu …“ – sofern es nicht um strafbare Handlungen oder verfassungsfeindliche Äußerungen geht.

Dürften also deutschsprachige Vertreter der israelischen Drusen, die sich soeben gegen die neue israelische „Nation-State Bill“ als eine Form von Apartheid wehren, in München auftreten? Freedom dies by inches. Aber München ist nicht überall.

Micha Brumlik ist Mitarbeiter am Zentrum für jüdische Studien und lebt in Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen