piwik no script img

„Jazz kann man es trotzdem nennen“

Seit drei Jahren bespielt das Jazzlab den kleinen Klub Volt im Hamburger Karoviertel – für ein junges Publikum. Nun möchte es raus aus der Subkultur-Ecke

Genug Luft bleibt ihnen im kleinen Klub Volt nur, wenn nicht geraucht wird: das Jazzkombinat Hamburg mit Anna Lena Schnabel Fotos: Miguel Ferraz

Von Jan Paersch

Verbote sind out. Die neue Form der Höflichkeit im Underground: Es wird gebeten, nicht zu rauchen. Keine schlechte Idee, denn die Luft wird für die Bläser langsam knapp. Die Temperaturen in dem kleinen Raum im Hamburger Karolinenviertel bewegen sich schon jenseits der 30-Grad-Marke, die Lüftung ist auf Anschlag. „Jazzkombinat plays the music of Jazzlab“ steht unten an der Tür angeschlagen. Schon bei Konzertbeginn um kurz nach 21 Uhr ist Einlassstopp – mehr als 130 Personen passen gar nicht in die Location im ersten Stock des Rotklinkerhauses in der Karolinenstraße 45 direkt neben dem Fernsehturm, das buchstäblich von den Neubauten der Hamburg Messe umrahmt wird.

Das Volt war ursprünglich als Erweiterung des dort im Erdgeschoss ansässigen Technoklubs Pal vorgesehen – doch unter der Woche wurde die Fläche nicht genutzt. Seit 2015 hat sich das Kollektiv Jazzlab dort eingenistet. „Wir wollten nicht bloß eine reine Jazzkonzert-Reihe machen“, sagt Philipp Püschel. Der 27 Jahre alte Trompeter spielt beim Sextett Rocket Men, das Rock mit elektronischen Beats und Jazz-Soli verbindet, und zählt zu den Gründern des Jazzlab. „Unsere Idee war ein Klubabend mit Freunden, DJs und Videokünstlern. Welche Musik dabei konkret gespielt werden würde, war uns egal.“

Do it yourself war das Stichwort. Bevor die jungen Konzertveranstalter*innen ihre Gigs im Karoviertel durchführen konnten, mussten Bühnen gebaut, Getränkebeschaffung organisiert und Klos geputzt werden. Über soziale Medien rekrutierte man eine Fanbase. „Es kommt auf die Location an, nicht auf die Band“, sagt Lasse Grunewald aus dem Jazzlab-Team. „In einer Stadt wie Hamburg kannst du jeden Abend auf zehn verschiedene Konzerte gehen. Ein Veranstalter muss sich deshalb eine Identität aufbauen, mit der sich das Publikum identifizieren kann. Die Leute müssen wissen: Was den Stempel ‚Jazzlab‘ trägt, ist gut.“

Den Stempel trugen bald auch die Veröffentlichungen des gleichnamigen Labels. Der Trompeter Püschel, der Kultur- und Medienmanagement studiert, sagt, dass ihn sein Instrument allein nie ganz glücklich gemacht hätte. „Ich wollte auch mit den Dingen hinter der Bühne zu tun haben. Eine künstlerische Idee mit Manager-Kompetenzen umsetzen: Man baut sich das, was man braucht, um seine Musik zu verwirklichen.“

Der Pioniergeist und die Lust an der Erforschung neuer Klänge steckt schon im Namen des Kollektivs. In den letzten Monaten sind im Volt einige der aufregendsten jungen Bands Europas aufgetreten. Sie spielen Musik, die mit dem Begriff „Jazz“ nur unzureichend beschrieben ist. Zum Beispiel das Londoner Duo Binker and Moses, das seinen lässigen Free-Jazz-Soul-HipHop nur mit Saxofon und Drumkit erschafft. Oder das Contrast Trio aus Frankfurt und ihr kühler Electro-Nu-Jazz mit raffiniert eingestreuten Folklore-Elementen. Oder das Wiener Septett Shake Stew, das sich gewissenhaft mit afrikanischen Musiktraditionen beschäftigt und diese mithilfe von je zwei Drummern und Bassisten in ihren hypnotischen „Post-Jazz“ einwebt.

Und dann sind da natürlich noch die Hamburger*innen. 17 Musiker*innen stehen und sitzen an jenem heißen Juniabend auf der Bühne, an die extra angebaut werden musste. Bei der Sommersause des Jazzlabs spielt in diesem Jahr das Jazzkombinat Hamburg unter der Leitung von Malte Schiller. Das 2014 gegründete Ensemble mit Wurzeln in der Hochschule für Musik und Theater ist eine raue, ungestüme Big Band, die tight spielt und dennoch Luft zum Atmen lässt, irgendwo zwischen Miles Davis auf seinem Album „Sketches of Spain“ und dem gerade so angesagten Hip-Hop-Soul Kamasi Washingtons.

Zur Band gehören famose Solist*innen wie die Saxofonistin und Echo-Preisträgerin Anna-Lena Schnabel. Oder Keyboarder Noah Rott, Gründungsmitglied von Rocket Men und Jazzlab, der mittlerweile Jazz an der New York University studiert. Oder Silvan Strauß: Der derzeit wohl gefragteste Hamburger Drummer stammt aus dem Allgäu; seine Hip-Hop-geschulte Zackigkeit verhehlt er nicht, und besitzt obendrein ein Timing, das seinesgleichen sucht.

Sie alle interpretieren an diesem Abend Kompositionen von Jazzlab-Künstler*innen, darunter Stücke von Philipp Püschel und Lisa Stick. Die Posaunistin des Jazzkombinats veröffentlichte bereits beim Label Jazzlab und tritt regelmäßig im Volt auf. Obendrein leitet Stick ein bemerkenswertes Septett, bei dem ein Streichquartett auf Bass, Schlagzeug und Posaune trifft. Die leise, zurückhaltende Art der Musikerin macht sich auch in ihren fragilen Kompositionen bemerkbar.

Hat sie als Frau Benachteiligung erfahren, im Jazzlab oder anderswo? „Ganz im Gegenteil, ich habe sogar eher mal eine Chance bekommen“, sagt Stick. „Ich habe in Skandinavien studiert, die sind da weiter. Aber Quoten sind selten eine gute Idee. Es ist ein blödes Gefühl, irgendwo zu stehen, nur weil man eine Frau ist.“ Im Volt steht Stick wegen ihres weichen, bei Nils Landgren geschulten Posaunentons, und wegen ihrer komplex-melodiösen Arrangements für die Big Band.

Grunewald sieht es ähnlich: „Wir können die Qualität nicht hintanstellen. Oft ist die Auswahl an Frauen, die wir buchen könnten, sehr gering. In Hamburg gibt es mit den Bands von Anna Lena Schnabel, Clara Haberkamp und Sandra Hempel grandiose Acts, die aber etwas zu freie Musik machen, um in den Jazzlab-Sound zu passen.“

Kulturförderungsexperten: Jazzlab- Initiatoren Lasse Grunewald (l.) und Philipp Püschel

Der im Technoklub geformte Sound kommt in der Stadt jedenfalls gut an: Im November vergangenen Jahres ließ das Festival Überjazz die Truppe einen eigenen Labelabend mit fünf Bands auf Kampnagel gestalten, darunter Rocket Men, das Lisa Stick Septett und We don’t suck we blow!.

Die siebenköpfige Band spielt nun am Dienstag auf dem Lattenplatz vor dem Klub Knust ein kostenloses Open-Air-Konzert. Veranstalter: das Jazzlab. Die Organisator*innen wollen ihre Marke weitertragen und künftig verstärkt mit anderen Locations in Hamburg zusammenarbeiten. „Wir wollen verdeutlichen: Jazzlab ist immer geil. Egal, ob es in der Elbphilharmonie oder im Resonanzraum stattfindet“. Lasse Grunewald kann sich sogar vorstellen, in anderen Städten Veranstaltungen durchzuführen. Der 26 Jahre alte Saxofonist hat seine Masterarbeit über Jazzförderung in Hamburg geschrieben. Eine Expertise, die den Hamburger*innen zupass kommt, denn ohne die Kulturförderung der Stadt könnten die Jazzlab-Veranstaltungen kaum stattfinden

„Wir wissen, dass unsere Konzerte mehr wert sind als die sieben Euro, die wir verlangen“, sagt Philipp Püschel. „Wir verlieren zwar kein Geld, aber wir fragen uns schon, wie wir künftig überleben können. Wir müssen aus der Subkultur-Ecke heraus. Denn wir machen keine Nischenmusik. Die Jazzlab-Künstler*innen haben das Potenzial, eine breite Masse anzusprechen.“ Das Selbstbewusstsein des Trompeters speist sich aus dem Wissen, dass die Beats und Sounds aus dem Karoviertel von Anfang an vor allem Zuschauer*innen unter 30 ansprachen. Jazz hafte mittlerweile ein gewisser Lifestyle an, so Püschel.

Lisa Stick stimmt zu: „Die alteingesessenen Klubs machen gute Arbeit, aber es brauchte eine frische Plattform. Das Umfeld, die Visuals und die DJs, machen den Unterschied. Die Musik mag Electro- und Pop-beeinflusst sein, Jazz kann man es trotzdem nennen.“ Philipp Püschel schaut ernst, während die Big Band, verschwitzt und glücklich, ihre Instrumente einpackt. „Die Leute wissen: Jazz ist nicht nur noch Dixieland. Jazz ist keine Musikrichtung, Jazz ist eine Einstellung.“

Jazzlab-Open-Air mit We don‘t suck, we blow! und Ufa Palava: Di, 7. 8., 18 Uhr, Knust/Lattenplatz, Hamburg

www.jazzlab.info

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen