: Der Weg war das Ziel
Erstmals spielte der 1. FC Union Berlin auf der britischen Insel – und verlor 0:3 gegen die Queens Park Rangers. Das Spiel war aus Sportsicht zu vergessen, das Drumherum feierten die Fans für die Ewigkeit
Von Gunnar Leue
In der vergangenen Saison gab es etliche Debatten unter den Union-Fans, dass der Verein sich vielleicht doch zu viel vorgenommen habe. Das mit dem geplanten Aufstieg in die Erste Bundesliga ging voll nach hinten los, der Nichtabstieg wurde erst kurz vor Ultimo besiegelt.
Doch vor dem Beginn der neuen Saison, die am Sonntag mit einem Ostderby gegen Erzgebirge Aue in der Alten Försterei startet, kann man getrost sagen: Es hat sich wieder eingeruckelt. Von Aufstieg ist – erst recht nach den Abgängen von Steven Skrzybski und Toni Leistner – nichts mehr zu hören. Nicht vom Präsidenten, nicht vom neuen Trainer Urs Fischer, nicht von den Fans. Stattdessen werden wieder traditionelle Prioritäten gesetzt. Die bei den Fans heißen: Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt.
Zum Beispiel einmal zu einem Spiel des Vereins im Mutterland des Fußballs fahren, wo der Klub in seiner 52-jährigen Geschichte noch nie gespielt hat. Und das, wo er sich in punkto Fankultur heute quasi britischer anfühlt als viele britische Profiklubs.
Vergangenen Sonnabend war es so weit, das letzte Saisonvorbereitungsspiel fand beim Londoner Zweitligisten Queens Park Rangers statt, der seine sportlich besten Zeiten lange hinter sich hat. Zu den Eisernen hat er eine besondere Verbindung, weil er auch für manchen Union-Spieler ein Sehnsuchtsort zu sein scheint. Stürmer Sebastian Polter spielte 2015/16 dort, Abwehrrecke Toni Leistner ist jüngst zu QPR gewechselt.
Während der Ex-Unioner also schon vor Ort war, hatten sich die Noch- und die „Immer und ewig“-Unioner am Freitag und Sonnabend auf den Weg nach London begeben. Mit Autos, Bussen und Flugzeugen waren gut 1.500 Fans der Rot-Weißen aufgebrochen, um aus diesem belanglosen Match ein besonderes zu machen – für sich und die Gastgeber, denen man mit dem typischen Union-Ehrgeiz zu zeigen gedachte, wie man in Köpenick die Fußballkultur-Traditionsfahne hochhält.
Der mit Ultragründlichkeit geplante Fanmarsch zum Loftus-Road-Stadium mitten in einem Wohngebiet fiel zwar etwas mickriger aus als gedacht, weil die Polizei ihn wegen eines Radrennens abgesagt hatte (um ihn dann doch noch in einer Rumpfvariante zuzulassen), aber die Straßen waren trotzdem in viel Rot getüncht. Vor dem blauen, wie erhofft abgerockten Stadionbau sah es aus wie an der Köpenicker Union-Tanke vor einem Heimspiel. Überall trafen sich Bekannte. Was die Angereisten nicht kannten, waren die Biertrinkregeln rund ums Stadion. Dass auf der Straße nicht getrunken wird, machten die Bobbys ausgesprochen freundlich klar. Und auch im Stadion durfte kein Bier getrunken werden, jedenfalls nicht auf den Rängen, sondern nur in den Gängen ohne Blick aufs Spielfeld. Warum die Regel dann aufgehoben wurde und man die Plastikbierflaschen doch mit auf den Rang nehmen durfte, erschloss sich nicht, wurde aber als Akt extremer Gastfreundschaft wohlwollend registriert.
Ebenso natürlich das musikalische Welcome des Stadion-DJs , der The Clashs „London Calling“ auflegte. Der Rest der Stadion-Mucke wurde dann meist von Union-Fangesängen übertönt, was die gut 2.000 Heimfans in Blau-Weiß auf der besonnten Sitztribüne nebenan interessiert beobachteten. Ist man in England so ja schon lange nicht mehr gewohnt. Aus aktuellem Anlass hörten sie sogar heimisches Repertoire, denn in der späten zweiten Halbzeit klang’s von der roten Menschenwand hinter dem QPR-Tor „Always look on the bright side“, weil es der Spielverlauf bestens hergab. Die Eisernen spielten pomadig und wurden nach anfänglichen eigenen Chancen ziemlich abgekocht. Vor allem Verteidiger Christopher Trimmel ließ sich von seinem Gegenspieler ziemlich narren. 0:1, 0:2, 0:3, und schon war die traditionelle Union-Stimmung da: Wir spielen scheiße, aber wen interessiert’s?!
Na ja, Vereinzelte sogar doch. „Wenn dit die Generalprobe ist, wird mir angst und bange“, meinte ein Fan zwischen zwei Chants. Da wusste er noch nicht, dass als Alternative für Trimmels Position ein junger norwegischer U21-Nationalspieler geholt wurde: Julian Ryerson von Viking Stavanger.
Auch in der dritten Halbzeit war der Austausch sportlicher Aspekte nicht groß der Rede wert. In Belushi’s Sports Music Pub nahe dem Busbahnhof war Party angesagt, die Kreditkarten glühten, die Bierausschenker zeigten sich fitter als jeder Union-Spieler zuvor. Ein junger Gitarrist auf der Bühne spielte Britpop-Songs, die umgehend in Union-Lieder umgemünzt wurden. Und ja, „Alle Bullen sind Schweine“ gab’s auch noch als Gute-Laune-Chorus. Irgendwann vertrudelten sich die Fans zu den Bussen. Back to Berlin. Aue kann kommen.
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