portrait: Türkischem Freidenker droht Haft
Es will ja sonst kaum jemand in der Türkei sagen, deshalb sage ich es jetzt: Es sind 1 Million Armenier und 30.000 Kurden umgebracht worden.“ Für diese Aussage im Züricher Tagesanzeiger vom vergangenen Februar drohen Orhan Pamuk jetzt drei Jahre Haft. Einem Staatsanwalt zufolge erfüllt der Krimiautor und Freidenker mit diesen Worten den Straftatbestand der „Beleidigung des Türkentums“.
Der 53-jährige gelernte Journalist und Architekt hat nicht zum ersten Mal Ärger wegen seiner kritischen Äußerungen. Schon 1990 brachte ihm sein zwar populärer, jedoch umstrittener Roman „Das schwarze Buch“ viel Kritik ein. In dem historischen Werk, das zum Meilenstein seiner Karriere wurde, geht es um den Konflikt zwischen islamischen und westlichen Kulturen.
Sein literarischer Durchbruch gelang Pamuk, der mittlerweile als einer der beliebtesten Schriftsteller Europas gehandelt wird, 1985 mit der Veröffentlichung von „Die weiße Festung“. Seine Romane und Novellen wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt und gewannen zahlreiche Preise und Auszeichnungen.
Pamuk befasst sich in den meisten seiner Bücher mit Polarisierungen: den Spannungen zwischen Orient und Okzident, der Anziehungskraft einer islamischen Vergangenheit und den Reizen der europäischen Moderne. Pamuk gilt als Postmodernist und wird mit dem kolumbianischen Schriftsteller Gabriel García Márquez verglichen.
Pamuk kommt aus einer wohlhabenden Ingenieursfamilie, fühlte sich aber selbst zu etwas anderem berufen. „Ich liebte es zu malen und fing schon früh damit an“, sagte er. Nach dem Abschluss des US-amerikanischen Robert-College in Istanbul entschied er sich auf Vorschlag seines Vaters für ein Architekturstudium an der Istanbuler Technischen Uni. Nach drei Jahren schmiss er das Studium hin und lebte fortan seine kreativen Ideen am Institut für Journalismus aus. Mit 22 Jahren fing er an regelmäßig zu schreiben. „Ich schreibe in der Regel zehn Stunden am Tag“, teilte er kürzlich mit.
Pamuk hat sein ganzes Leben in Istanbul verbracht. Nur von 1985 bis 1988 unterrichtete er an der Columbia University in New York. Er ist verheiratet und hat eine 14-jährige Tochter.
Im Oktober soll Pamuk der Friedenspreis des deutschen Buchhandels, dotiert mit 25.000 Euro, überreicht werden. Der Stiftungsrat zeichnet ihn aus, weil er sich „einem Begriff der Kultur“ verpflichtet habe, „der ganz auf Wissen und Respekt vor dem anderen gründet“. Sollte es tatsächlich zum Gerichtsverfahren kommen, dürfte das Geld wohl für einen guten Verteidiger draufgehen.
JAKOB NEU, FRÉDÉRIC DUBOIS
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