Vom Versuch, streikende Antennen zu bestreiken
: Die tägliche Mattscheibe

Offen zugegeben: Bis vor zwei Jahren war ich süchtig. Täglich brauchte ich eine Dosis Tagesthemen. Mit allen Fähigkeiten der Fremd- und Selbstmanipulation ausgestattet war es ein Leichtes, das Programm so zu wählen, dass es um halb elf pünktlich aufs Erste ging. Eine Woche Wickert, eine Woche Will. Eine Woche Wickert, dann wieder Will. Wickert. Will. Wi. Wi. Unterschiede sind im TV-Bereich Mangelware. Sogar die Namen der Tagesthemen-Moderatoren passen sich diesem Umstand alliteratorisch an.

Als vor zwei Jahren als letzte Sender auch ARD und ZDF nicht mehr über Antenne sendeten, war Schluss. Ich meine, es hätte nicht Schluss sein müssen, es gab ja diese Decoder zu kaufen. Freunde erzählten Geschichten vom Zweikampf zwischen ihnen und diesen Geräten. Bei uns im Haushalt kam es nicht dazu, dass einer gekauft wurde. Es war keine Absicht, es konnte sich nur niemand durchringen, in den Laden zu gehen. Wahrscheinlich, weil mir Betriebsanleitungen ein Gräuel sind und meine Freundin kein Geld hatte.

Die ersten Tage nachdem der Bildschirm nur flimmerte, versuchte ich – Süchtigen sei es verziehen – den Fernseher ein wenig zu manipulieren. Da muss doch was rauskommen! Wie ein Alkoholiker, der noch den Duft des Schnapses in der leeren Flasche einatmet, hechelte ich dem Indikativ der Nachrichten hinterher. Dann hat sich die Abhängigkeit gegeben. Die Kiste steht seither in einer Ecke. Ein Tuch mit goldenen Elefanten liegt darüber.

Es muss mit der Abneigung vor Betriebsanleitungen zusammenhängen, dass mein Handy auch schon vier Jahre alt ist. Bisschen groß kommt es daher und aufklappbar ist es nicht. Dafür hab ich durch schiere Intuition alle Funktionen, die ich brauche, gefunden. Der Mobilfunkanbieter, der nach einem Jahr noch beflissen versuchte, mir neue Konditionen schmackhaft zu machen, lässt mich seither in Ruhe. Für diesen Markt bin ich tot.

„Sag mal, was ist ein iPod“, frage ich meine Freundin, die gerne und gewissenhaft Betriebsanleitungen liest. „Das sind so Speichersticker, auf denen du deine Daten vom Computer runterladen kannst. Aber auch ganze CDs. Es funktioniert dann sogar wie ein Walkman.“ Woher sie das alles weiß? Sie lese Zeitung, meint sie. Meinem Laptop allerdings ist ein iPod egal. Acht Jahre ist er jetzt alt. Sein Betriebssystem war vor zehn Jahren neu. Irgendwann hat das CD-Laufwerk aufgehört, zu reagieren. Auch die Programme sind Methusalems, und updaten geht nicht, weil’s der Speicher nicht schafft.

Nein, nein, es ist kein Protest, keine Bilderstürmerei, der hier goldene Aureolen verpasst werden. Nur eine Störrigkeit. Wenn es um die neueste Generation von Handys, Kameras, Computer oder so geht, bleib ich stehen. Wie ein Maultier. Auf diese Weise überspringe ich eine Generation. Und manchmal noch eine. Dann geht es irgendwie weiter.

Ganz einfach ist die Sache allerdings doch nicht. Wer keinen Fernseher hat, dem fehlt ein Bild zum gerade gehypten Gesicht. Wie heißt die Moderatorin, die in ist? Welcher Stern wird gerade geboren? Aber Maultiere sind robust, sind eigenwillig und sensibel. Ihre Last tragen sie fleißig Und im Gegensatz zu ihren Müttern, den Pferden und ihren Vätern, den Eseln, sind sie zu vernetztem Denken fähig. Soll heißen: Ich kenne die Gesichter und die Namen der gängigen Stars nicht, aber ich weiß, dass sie austauschbar sind.

Manchmal jedoch, wenn ich in einem Hotel übernachte, greife ich nach der Fernbedienung, bevor ich den Koffer auspacke. Auf allen Kanälen suche ich das Leben. Allein, ich finde nur seine Kopie. Auch die Tagesthemen erscheinen mir nun als Halluzination einer Wirklichkeit. WALTRAUD SCHWAB