Zwischen Spiel und Bild

AUSSTELLUNG In einer trüben Ecke der Bahnhofsvorstadt ist zu sehen, was herauskommt, wenn sechs FotografInnen spielen und sich von ihrem Medium emanzipieren

VON JAN ZIER

Du siehst es – und es verstört dich. Spätestens, wenn du begreifst. Verstehst, dass das hier, nein, eben keine lebenden Babys sind. Sondern Puppen. Naturgetreue Nachbildungen, aus Bausätzen gefertigt, in Fleißarbeit. Kindersatz, der in lieblichen Kinderbetten liegt oder im – ja, wessen eigentlich? – Arm. Und Anja Engelkes Fotos zwingen dich geradezu, eine Haltung einzunehmen, sei sie auch ambivalent. Weil: Richtig provokant werden diese Bilder erst durch den Titel, den Kontext der Ausstellung, in der sie gerade hängen: „Play“.

Dass wir hier von sechs FotografInnen reden, heißt natürlich noch lange nicht, dass es auch um Fotos geht. Nehmen wir zum Beispiel Mia Unverzagt, die sowieso aus der Reihe fällt, weil sie die Einzige der hier Ausgestellten ist, die nicht aus der formenstrengen, dokumentarisch orientierten Schule des Fotografen Peter Bialobrzeski kommt, der seit 2002 an der Bremer Hochschule für Künste lehrt.

Da ist zum Beispiel ein Memory-Spiel, das nicht nur – seine Bilder sind auf Stahl aufgezogen – so schwer ist, dass man es kaum spielen kann, ohne einen Tennisarm zu bekommen. Das Spiel passt, nun ja, manchmal halt, aber am Ende geht es eben doch nicht auf. „Das ist einer meiner Lieblingszustände“, sagt Unverzagt, die gleich eine ganz Serie von solchen „Krisenspielen“ produziert hat. Ein mindestens genauso unspielbares Domino etwa, das hier in einer Ecke im Keller steht. Übrigens ein kubanisches Nationalspiel, hier sogar noch auf einem abgeschrammelten, eigens dafür vorgesehenen Originalmöbel. Doch auf der Rückseite der Steine sind Bilder kubanischer Schulkinder aufgeklebt. Sie sagen vor, also: mit den Fingern. Und das ganz Spiel verliert seinen angestammten Sinn. Wird witzlos?

Nicht nur Mia Unverzagt, auch andere KünstlerInnen zeigen hier Installationen, und mitunter sind sie eigens für diesen temporären Ausstellungsort gebaut. Franziska von den Driesch beispielsweise hat quer über das ehemalige Ladengeschäft und bis hinunter in den Keller hinein eine liebenswerte Murmelbahn gebaut, noch dazu eine ganz und gar und völlig gewollt imperfekte. Wenn du, mit Hilfe des Luftballons, hier eine Murmel nach oben in die Umlaufbahn schießt, musst du sie auch betreuen, wenn sie irgendwann unten ankommen soll. Oder du folgst dem Reiz der Überwachung und guckst auf einen der fünf Monitore, die im Schaufenster stehen, scheinbar für das Laufpublikum, das sich hier, nahe der Hochstraße, allerdings eh kaum mal hin verirrt. Die Monitore standen früher mal bei Schlecker, jetzt lassen sie den Lauf der Murmeln bestenfalls erahnen. „Genießen kann man das nicht“, sagt von den Driesch dazu. Soll man auch nicht. Bei der Überwachung hört das Spiel auf.

Also wieder rein, zum Spielen – vielleicht mit der Erinnerung von Claudia A. Cruz? 180 Täfelchen hat sie akkurat an die Wand gehängt, in einer Art Tagebuch, das je zur Hälfte aus Bild und Text besteht, das Ergebnis von sieben Jahren Leben und Texten und vieler Fotos ist, die nur scheinbar beliebig sind. Und doch ist das Ganze „Work in Progress“, wie Cruz sagt. „Pop Up Love“ steht da etwa, oder „Actually I’m not 90/60/90“ oder „Is Masturbation illegal?“ Oder „Play with me“. Und das ist ein ernste Aufforderung: Mit der Ordnung der Dinge hier zu spielen. „Waiting for Statements“.

Auch Johanna Ahlert zeigt eine Installation – sie ist eine Hommage an die gute alte Analogfotografie, zugleich aber auch eine klare Emanzipation von ihr. In Kellerräumen sind Utensilien einer Dunkelkammer zu einer Art dreidimensionalem Bild aufgebaut, erinnern an Stunden, die man einst mit der Entwicklung von Fotos zugebracht hat, sagen aber auch ganz klar: Das ist eine aussterbende Gattung.

Es gibt indes, fast muss man das eigens erwähnen, durchaus auch noch richtige Porträtserien bei „Play“, solche, bei denen man sieht, aus welcher Schule sie kommen. Tine Casper zeigt in „Nach dem Spiel“ SchauspielerInnen, die gerade noch ihrer Rolle verhaftet sind, aber schon wieder sie selbst werden. Und Franziska von den Driesch – das war die mit der Murmelbahn – präsentiert Kinder, keins älter als elf, die LeistungstänzerInnen sind. Ihre Posen sind so erwachsen, dass es einen gruselt. Ein bisschen wie bei Anja Engelke.

Ausstellungsraum: Daniel-von-Büren-Str. 48, Bahnhofsvorstadt

Finissage: Freitag, 19 Uhr. Es spielt ab 20 Uhr „Dad Horse Experience“