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IRRITATIONNa bitte, geht doch!

Das Mädchen schaut auf die bunten Kübel

Jetzt bin ich aber doch überrascht über meinen Gentrifizierungskiez Helmholtzplatz und über die Leute, die dort seit einigen Jahren wohnen. Bis neulich dachte ich, ich kenne beides in- und auswendig, und nichts, aber auch wirklich nichts könne mich noch erschüttern.

Inzwischen kann ich sogar die Dialoge der „Macchiato-Mütter“ und Helikopter-Väter mit ihren Sprösslingen mitsprechen. Vor ein paar Tagen erst wieder. Ein etwa dreijähriges Mädchen und seine Mutter stehen vor dem Bioeisladen. „Was willst du“, fragt die Mutter die Kleine: „Stracciatella? Cookies? Smarties?“ Das Mädchen schaut auf die vielen bunten Kübel. Und schweigt. Es ist schlicht überfordert. Da juchzt die Mutter auf: „Oh, schau mal, jetzt gibt es auch welches mit Aceto-Balsamico. Das nehmen wir.“ Sie bezahlt und drückt dem Kind die Waffel in die Hand. Das Mädchen leckt – und greint. Mutter und Kind beginnen zu diskutieren. Die Schlange scharrt mit den Füßen, die Mutter wirft den Leuten einen giftigen Blick zu. Das Kind schreit, matscht Aceto-Balsamico auf den Boden, Mama kauft eine Kugel Schoko.

Die letzten fünfzig Meter zu meinem Haus schiebe ich mein Fahrrad immer über den Bürgersteig. Gestern liefen eine Mutter und ihre beiden Kinder vor mir, sie nahmen die gesamte Breite des Gehwegs ein. Das Mädchen und der Junge kicherten und hüpften hin und her. Ich versuchte, links an ihnen vorbeizusteuern. Ging nicht. Rechts. Ging auch nicht. Innerlich stöhnte ich: Schon wieder welche, die glauben, die Straße gehöre ihnen ganz allein.

Da sah mich die Mutter und wies ihre Kinder an: „Geht mal ein Stück zur Seite, da will jemand durch.“ Die Kinder hörten sie nicht, sie schnatterten fröhlich weiter. Die Mutter lauter: „DA WILL JEMAND DURCH!“ Die Kinder hopsten in einen Hauseingang und ließen mich passieren. Es geht also doch.

SIMONE SCHMOLLACK

Links lesen, Rechts bekämpfen

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