Nils Schuhmacher
Hamburger Soundtrack
: Zeit für saure Gurken

Der Begriff der „Sauregurkenzeit“ blickt auf eine bemerkenswerte Karriere zurück. Im Ursprung beschrieb er eine Zeit des Leidens und der Teuerung. Heute versteht man darunter entweder eine Situation, in der stolze Fußballvereine von Großunternehmern in die zweite Liga gecoacht worden sind, oder man meint ganz allgemein eine Phase, in der die Geschäfte zu, die Zeitungen voller drittrangiger Nachrichten und die Politiker im Urlaub sind, also kurz gesagt: wenig los ist.

Beides führt natürlich komplett in die Irre. Im ersten Fall wissen wir, dass Klaus-Michael Kühne weder Trainer noch Essigfabrikant ist und trotzdem viel zu sagen hat. Im zweiten Fall zeigt die Inspektion der Regale, Spalten und Gesichter, dass eigentlich alles da ist. Zumindest Borniertheit, Regression, politischer Wahnsinn und dergleichen sind im Überfluss zu haben, so dass man wohl sagen muss: Die Kategorie verweist weniger auf Stoffliches als auf Dinge, die den Intellekt betreffen.

Wie fügt sich das Musikgeschehen dieser Tage in das komplizierte Bild ein? Tatsächlich verknüpft sich hier auf stofflicher Ebene ein gewisser allgemeiner Mangel mit einem Überangebot an Vintageprodukten in Punk und Hardcoreverpackung, während in intellektueller Hinsicht jugendliche Unrast mit politischer Wut von früher konkurriert. Das ist gut und schön und offenbar immer noch beliebt, wie man bei den Descendents sieht (10. 7., Markthalle), deren Konzert bereits ausverkauft ist. Spannend bleibt nun, welches Konzept sich am 17. 7. durchsetzt, wenn die anderen Vertreter – die seit 1979 bestehenden MDC (Menschenzoo) und die seit 1980 existierenden Adolescents (Hafenklang) gegeneinander antreten. Wir wissen es nicht. Aber wir wissen: Sauregurkenzeit – das ist auch ein bisschen der süße Verwesungsgeruch von Sachen, die mal frisch und knackig waren.