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Kino für Aufmerksame

Das Kino Arsenal zeigt eine Werkschau der argentinischen Filmemacherin Lucrecia Martel. In Berlin ist sie keine Unbekannte, 2001 gewann sie auf der Berlinale mit ihrem Debütfilm „La Ciénaga“ den Alfred-Bauer-Preis

Das Leben am Pool, wie es die argentinische Regisseurin Lucrecia Martel in ihrem Spielfilm „La Ciénaga“ zeigt Foto: Arsenal Institut

Von Eva-Christina Meier

Nicht nur der spanische Regisseur Pedro Almódovar war 2001 begeistert von „La Ciénaga“ (Der Morast), dem Spielfilmdebüt Lucrecia Martels. Auf den Berliner Filmfestspielen wurde der Beitrag der Argentinierin im Wettbewerb für den Goldenen Bären nominiert und mit dem Alfred-Bauer-Preis ausgezeichnet. Nach langer Abwesenheit kehrt Lucrecia Martel nun mit „Zama“, einer Adaption eines Romans des argentinischen Schriftstellers Antonio di Benedetto, zurück in die Kinos. In ihrem jüngsten Werk erzählt sie vom Schicksal eines Kolonialbeamten der spanischen Krone und greift damit erstmals ein historisches Kapitel der argentinischen Geschichte auf. Aus diesem Anlass präsentiert das Arsenal alle vier Spielfilme der Regisseurin in einer Werkschau.

Mit „La Ciénaga“ war der 1966 in Salta geborenen Filmemacherin die virtuose Inszenierung einer Familie und gesellschaftlichen Klasse in Auflösung gelungen. Mit der 2001 kurz darauf in Argentinien einsetzenden Krise erhielt dieses filmische Porträt zusätzlich eine aktuelle Lesart der Verhältnisse.

So handelt Martels erster Spielfilm von einer argentinischen Großfamilie des privilegierten Mittelstands in der nördlichen Provinz Salta. Noch verbringt man die Ferien bei drückender Sommerhitze, bedient durch das indigene Personal, auf dem Landsitz in den Bergen. Doch die Zeichen des Niedergangs sind unübersehbar. Das ehemals herrschaftliche Anwesen zerfällt. Mit klirrenden Eiswürfeln in den stets gefülltem Gläsern verbringen die Erwachsenen alkoholisiert die Nachmittage am modrig-trüben Pool und klammern sich an die Annehmlichkeiten eines Lebens, das es eigentlich nicht mehr gibt. Längst scheinen sich die Kinder an den Zustand materieller und emotionaler Verwahrlosung gewöhnt zu haben.

Mit einer kunstvoll abgestimmten Montage von Bild und Sound erzeugt die Regisseurin in dieser mit Langeweile, Aggression und Verlangen aufgeladenen Atmosphäre beim Zuschauer ein Gefühl latenter Bedrohung. Angetan von der unkonventionellen Filmsprache in „La Ciénaga“, entschlossen sich Pedro Almódovar und sein Bruder Agustín, die zukünftigen Filme von Lucrecia Martels zu produzieren.

Auch in ihrem zweiten Spielfilm, „La Niña Santa“ (Das heilige Mädchen), der 2004 in Cannes uraufgeführt wurde, inszeniert Martel das gesellschaftliche Leben der argentinischen Mittelschicht um ein Schwimmbecken herum. Ein Ärztekongress tagt in dem altmodisch wirkenden Kurhotel in der Provinz, das der Onkel und die Mutter der 16-jährigen Amalia führen. Mit ihrer Freundin Josefina besucht Amalia Bibelstunden, wo sie unter frommer Anleitung Zeichen göttlicher Berufung diskutieren und sich heimlich von ersten Zungenküssen berichten.

„La Ciénaga“ ist die virtuose Inszenierung einer gesellschaftlichen Klasse in Auflösung

Als einer der Kongressärzte Amalia in der Menge vor einem Schaufenster sexuell bedrängt, sieht der Teenager in diesem verstörenden Übergriff einen göttlichen Plan und einen Hinweis auf ihre eigene Berufung. Während Zimmermädchen, Kellner und Köche im Hintergrund des Hotels geräuschlos ihre Arbeit verrichten, lässt Martel aus einer Vielzahl von flüchtigen Begegnungen und Dialogen – einem Kammerspiel gleich – die inneren Konflikte der Protagonisten hervortreten und ein komplexes Bild ihrer Klasse entstehen.

Deutlicher noch als in „La Cié­naga“ thematisiert Lucrecia Martel in ihrem dritten Spielfilm, „La mujer sin cabeza“ (Die kopflose Frau, 2008), das von Verachtung und Ignoranz geprägte Verhältnis der weißen Mittel- und Oberschicht zur indigenen Bevölkerung in Lateinamerika. Nach einem Autounfall befürchtet eine Zahnärztin, nicht nur achtlos einen Hund, sondern auch dessen Begleiter, einen umherstreifenden Jungen aus dem Armenviertel, überfahren zu haben. Während Freunde und Verwandte wortreich beschwichtigen, verdichtet sich für die blonde Frau der beunruhigende Verdacht – und bleibt ohne Konsequenz.

Lucrecia Martels Filme steuern weder klassisch auf einen Höhepunkt zu, noch überschlagen sich in ihnen die Ereignisse. Doch auf eigenwillige Weise und mit Mitteln, die nur dem Kino vorbehalten sind, lässt sie den aufmerksamen Betrachter das Drama hinter den Kulissen erkennen.

4.–13. 7., Kino Arsenal, Programm unter www.arsenal-berlin.de. „La mujer sin cabeza“ am 7. Juli und „Zama“ am 10. Juli in Anwesenheit von Lucrecia Martel

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