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Aber warum?

Nicht noch einen Film über Pinguine wollte er drehen, so viel stand fest. Das versichert, in seinem bayerischen Englisch aus dem Off, Werner Herzog zu Unterwasserbildern von schwindelerregender Bläue. Dazu sakral anmutende Musik. Dann ist Herzog im Flugzeug, auf dem Weg ans Ende der Welt. Das südliche Ende, McMurdo, Antarktis, um Herzog herum, den man hört, aber nicht sieht, nur das Eis und die Tiere und ein Häuflein aus der Art geschlagener Menschen. Aus der Art derer geschlagen, die alltagstaugliche Gesellschaft ausmachen, mit ihren Regeln, Routinen und Institutionen.

Die Bewohner McMurdos sind anders. Sie sind, könnte man sagen, Menschen nach dem Herzen von Werner Herzog, den nichts so sehr interessiert, wie alles, das abweicht von Normalität und Gewohnheit. Drum hat es ihn selbst an alle Enden der Welt verschlagen, vom bayrischen Dorf Sachrang aus, in dem er aufwuchs. Von München nach Paris ging er zu Fuß, die kranke Lotte Eisner besuchen. Auf Bergen, im Dschungel war Herzog zu finden, die Kamera stets dabei, und hat von Zwergen und Vampiren, von Grizzlies und Menschen erzählt. Er zelebriert, weil er muss, den Film als Extremsport, und immer ist – auch da, wo Fragwürdiges herauskommt – die selbst etwas irre Liebe zum Irrsinn zu spüren, nicht nur zur ganz speziellen Verrücktheit seines Wahlverwandten und Lieblingsfeindes Klaus Kinski.

Nun aber: Et ego in McMurdo. Es ist, heißt es einmal im Film, als hätte die Evolution hier per natürlicher Selektion ein ganz spezielles Biotop geschaffen: Es sind da die Außenseiter, Einzelgänger, Exzentriker versammelt, die Herzog sonst einzeln über den Erdball verfolgt: der Linguist, der als Botaniker tätig ist und den Filmemacher mit der Information entsetzt, dass täglich zwei oder drei Sprachen der Erde für immer aussterben. Der ehemalige Bankangestellte, der jetzt das Schneefahrzeug fährt. Ein Mann, der die Nähe zu feuerspuckenden Vulkankratern im (nicht mehr so) ewigen Eis sucht. Oder die Computer-Expertin, die keine Miene verzieht, wenn sie von ihren Reisen erzählt, wochenlang einmal im Mülllaster versteck nach Nairobi, dem Tod näher als dem Leben. Wir sind die, sagt einer, die vom Rand der Erde gesprungen sind. „Träumer von Beruf“ nennt Herzog diese Menschen; dass er sich selbst da im Grunde dazuzählt, ist kein Geheimnis.

Kein Film über Pinguine – und doch. Der Regisseur macht sich auf zu einem wortkargen Pinguinforscher und stellt ihm Herzogfragen. Eine nach schwulen Pinguinen, eine andere lautet: „Gibt es Pinguine, die wahnsinnig werden?“ Der Forscher zögert und meint, er kenne zwar keine, die manisch den Kopf auf den Felsen schlügen. Was aber vorkomme, sei, dass sie ohne erkennbaren Anlass die Orientierung verlören. Darauf folgt eine Szene, die gewiss die herzzerreißendste der gesamten antarktischen Filmgeschichte ist. Man sieht einen Pinguin, der erst mit seinen Artgenossen Richtung offenes Wasser watschelt. Dann bleibt er stehen, dreht bei und bewegt sich mutterseelenallein Richtung Berge. Dort erwartet ihn nichts, erklärt Herzog, als der sichere Tod.

Traurig genug. Dann aber stellt Herzog die Frage, deren existenzielle Unbeantwortbarkeit einem schier den Atem verschlägt: „But why?“ Warum tut der Pinguin das? Man übertreibt kaum, wenn man sagt: Dieses „Warum“ ist der tiefinnerste Antrieb des Gesamtwerks von Werner Herzog. Diese Frage treibt ihn hinaus in die Welt. Herzog sieht – und es liegt durchaus etwas Forciertes in dieser Perspektive – Menschen als Wesen, die Unerklärliches tun. Es wäre nicht einmal richtig, zu sagen, dass ihn die Menschen dabei als Individuen interessieren. Sie sind ihm im Grund alle nur ein komplizierterer Pinguin. Was ihn fasziniert, ist zuallererst die Unerklärlichkeit jeden Tuns, das abseits des Gewöhnlichen und abseits rationaler Zweck-Nutzen-Verhältnisse liegt. Keinesfalls möchte Herzog mit seinen Filmen etwas erklären. Er will im Gegenteil das Mysterium erratischen Handelns in Bildern und Tönen bewahren. In „Encounters at the End of the World“ gelingt es ihm wie selten zuvor. EKKEHARD KNÖRER

■ Werner Herzog: „Encounters at the End of the World“ (USA 2007). Bei play.com für 12 Euro (inklusive Porto)

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