: Aufputschmittel für Demokratiemüde
Ein Jahr lang haben Hamburger Bürger*innen im Lichthof-Theater über Grundfragen der Demokratie und Zeitthemen diskutiert. In „Staging Democracy“ bringen sie nun gemeinsam die Ergebnisse auf die Bühne
Von Katrin Ullmann
„Sind Sie Mitglied einer Partei? Gehen Sie wählen? Umarmen Sie manchmal Bäume?“ Mit roten oder grünen Karteikarten soll das Publikum diese Fragen beantworten und erst mal ein Meinungsbild liefern. Schließlich bedeute Demokratie ja Beteiligung, Mitbestimmung, so wird es am Anfang von „Staging Democracy“ im Hamburger Lichthof-Theater erklärt. Bis es nach einer scheinbar endlosen Reihe von Fragen schließlich heißt: „Sind Sie das ständige Abstimmen nicht langsam leid?“
Ergebnis eines einjährigen Experiments ist der Abend, entwickelt von 22 Hamburger Bürger*innen, geschrieben von Dagrun Hintze und auf die Bühne gebracht von Ron Zimmering. Interessierte konnten sich einem von fünf Themenbereichen zulosen lassen, sich dann in Arbeitsgruppen dazu informieren und diskutieren: Eine Bürger*innenversammlung en miniature. Aus ihren Gedanken und nach und nach erarbeiteten Expertisen haben die Beteiligten schließlich Forderungskataloge an Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete erstellt, haben sich mit ihnen getroffen und über die Themen der Stadt diskutiert.
Volkes Stimme: In diesem Format wird sie wörtlich und ernst genommen, bekommt Raum und im zweiten Schritt eine Bühne. Man denkt an die „Bürgerchöre“ von Volker Lösch oder die „Experten des Alltags“, die die Performancegruppe Rimini Protokoll immer wieder in den Fokus rückt. Aus Bürgerprojekten Theater machen, das Bekenntnis zur künstlerischen Kraft der Laien, liegt im Trend. Die Idee ist ja auch charmant: Die Laiendarsteller*innen verhandeln Themen, die sie selbst ganz direkt betreffen.
An diesem Abend ist es also die Demokratie – Politikverdrossenheit, sinkende Wahlbeteiligung und allgemeines Unbehagen inklusive. Man erfährt, dass mehr als 100 von 195 Staaten der Erde diese Regierungsform – zumindest auf dem Papier – vertreten. Man lernt, dass Staatsämter im antiken Griechenland per Los zugewiesen wurden, sieht die Unterschiede zwischen Aristokratie, Monarchie und Demokratie. Und man hört vom US-Gründervater Thomas Jefferson, vom Staatsphilosophen Edmund Burke und vom Referendum in Irland, das jüngst für eine Aufhebung des strikten Abtreibungsverbots stimmte und damit eine neue Gesetzesregelung anstieß.
Ganz in Weiß gekleidet erzählen die 22 Darsteller*innen mal von ihren eigenen Erfahrungen, mal befragen sie – per Losverfahren ausgewählte Zuschauer*innen. Mal sprechen sie im Chor, mal werden sie zu Stammtischmotzern, mal zur Stimme der Vernunft. Dabei stellen sie einen Querschnitt der Gesellschaft dar: alt und jung, Frau und Mann, wütend und enttäuscht, motiviert und frustriert.
Regisseur Zimmering lässt sie durch den Raum schreiten, sich ausweichen oder zur Gruppe vereinen – spielerisch, anschaulich, nie plump. Später bauen die Darsteller*innen einen runden Tisch zusammen (Bühne: Ute Radler). Stefan M. sitzt darauf und erzählt. Er war als Schöffe tätig: Ein Amt, das heute noch per Losverfahren vergeben wird – so schließt sich ein Kreis zurück ins alte Athen.
Text und Inszenierung sind unterhaltsam, klug und aufschlussreich. Möglichkeiten stehen im Fokus dieses Abends. Erst am Schluss, wenn jede*r der Zuschauer*innen eine „Aufgabe für die Gemeinschaft“ gewinnen kann, winkt die Moral. Unter jedem Stuhl klebt dann eine Aufforderung: „Übernehmen Sie Verantwortung für eine Gruppe von Menschen, die Sie nicht kennen“. Oder: „Beschäftigen Sie sich mindestens 30 Minuten mit einem lokalpolitischen Thema, das sie überhaupt nicht interessiert“.
Am Schluss also, da huscht dann doch kurz ein Zeigefinger durch den Raum. Schade, man könnte einfach sagen: Gehen Sie ins Theater. Es war – zumindest im alten Griechenland – ein Ort, an dem man zusammenfand, um über Demokratie und Politik zu diskutieren. Das Lichthof-Theater ist es derzeit auch.
Sa, 23. 6., 20.15 Uhr und So, 24. 6., 19 Uhr, Lichthof-Theater, Hamburg
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