berliner szenen
: Nur das Internet abschreiben

Wutschnaubend kommt das Kind aus der Schule. „Weil ich im Unterricht geredet habe, muss ich einen Aufsatz schreiben! Der wird benotet!“ Ich höre die Ausrufezeichen hinter jedem Satz und gieße mir erst mal einen Kräutertee auf. „Worum geht’s denn in dem Aufsatz?“, frage ich in einem neutral-interessierten Tonfall. „Um die Perserkriege.“ Ich erfahre noch, dass der Aufsatz mindestens 400 Wörter lang sein soll. Unzumutbar! Klar.

Hier ist Pragmatismus angesagt: „Habt ihr dazu was im Buch?“ – „Mama, wir haben kein Geschichtsbuch! Wir sollen das im Netz recherchieren.“ Sie hatten das Thema auch nicht im Unterricht, aber Mitschüler Tom hat dar­über einen Vortrag gehalten. Sicher ist das im Sinne moderner Medienerziehung, aber ist es wirklich sinnvoll, wenn Elfjährige sich antike Geschichte online erarbeiten?

Wie können Eltern ohne höhere Schulbildung – oder mit mehreren Kindern und weniger Zeit – ihren Kindern bei solch komplexen Strafarbeiten helfen? Wir verbringen die folgenden Abende auf „lernhelfer.de“. Am ersten Abend, nachdem das Kind mühsam den mit zahlreichen Fremdwörtern und griechischen Toponymen durchsetzten Text gelesen hat, stellt es fest: „Das ist Toms Vortrag. Der hat einfach das Internet abgeschrieben. Wie blöd ist das denn, bitte?“

Ich möchte nicht, dass mein Kind „das Internet abschreibt“. Also muss er mehrere Texte lesen, mit eigenen Worten wiedergeben und mir diktieren. Ich tippe schnell und fehlerfrei, der PC zählt die Wörter. Dann liest das Kind den Text und hat an etlichen Stellen Änderungswünsche. Wir suchen gemeinsam nach Formulierungen. Und am Ende schreibt es alles ab – denn Schüleraufsätze müssen natürlich handschriftlich verfasst sein.

Gaby Coldewey