Postdramatisch im Amt

THEATER Die Jugendtheatergruppe B.E.S.T. bespielt die Räume und Gänge eines leer stehenden Bürogebäudes in Gröpelingen mit der Eigenproduktion „FestHaltLos“

„Ich möchte im Theater Aspekte sehen, mit denen ich zu kämpfen habe und die andere stellvertretend auf der Bühne ausfechten“

KARL-HEINZ WENZEL

VON JENS LALOIRE

Junge Männer und Frauen schreien sich an, halten einander fest, reißen sich wieder los, verschwinden in Büros. Türen knallen zu, ein paar Meter weiter springen andere auf. Ein Trauerzug zieht vorüber, ein Zimmer wird gegen den Willen der sammelwütigen Besitzerin ausgeräumt, und in einem Innenhof hockt ein Pärchen auf dem Fenstersims und erörtert die Möglichkeit eines gemeinsamen Selbstmords. Springen oder nicht? Wegwerfen oder behalten? Bleiben oder losreißen?

Das sind zentrale Fragen der neuen B.E.S.T.-Inszenierung „FestHaltLos“. Die Abkürzung B.E.S.T. steht für „Bremens Erstes Schulübergreifendes Theater“. Wobei der Begriff „schulübergreifend“ ein wenig irreführend ist, da nur etwa die Hälfte der 15 Akteure im Alter von 16 bis 26 Jahren auf das Abitur zugeht; die anderen studieren, machen eine Ausbildung oder arbeiten fest in einem Beruf. Aber die Idee eines schulübergreifenden Theaters war der Ausgangspunkt.

1990 gründete der Lehrer und Theatermacher Karl-Heinz Wenzel unter dem Dach des Senats für Kultur und Bildung das B.E.S.T., um mit Jugendlichen Theaterprojekte zu verwirklichen. Seitdem hat das B.E.S.T. 20 Eigenproduktionen an diversen Orten in Bremen aufgeführt. Letztes Jahr war es das „Kabawerk“ auf dem ehemaligen Kaffee-Hag-Gelände, dieses Jahr ist es das inzwischen leer stehende Amt für Soziale Dienste am Schiffbauerweg in Gröpelingen.

Die Idee, nicht mehr genutzte Gebäude zu bespielen, sei eigentlich aus der Not heraus entstanden, erzählt Wenzel. Da man keine feste Spielstätte bekommen habe, sei er dazu übergegangen, für jede Produktion eine neue zu suchen. Aus der Not wurde ein Konzept. Jedes Projekt wird über mehrere Wochen in den vorhandenen Räumen entwickelt und dann im Herbst aufgeführt. Die eigentliche Arbeit beginnt jedoch im Frühjahr, wenn sich ein neues Ensemble zusammenfindet.

Gemeinsam erarbeitet die Gruppe in den folgenden Monaten unter der Leitung von Wenzel ein eigenes Theaterstück. Wobei es das Wort „Performance“ besser trifft, denn das B.E.S.T. inszeniert keine klassischen Dramen, sondern entwirft eher Szenencollagen zu bestimmten Themen. Vor zwei Jahren ging’s um das Glück, letztes Jahr um Prägung, in diesem Jahr nun ums Loslassen.

Für die Entwicklung der Szenen bedienen sich die Akteure aus dem Fundus ihres eigenen Lebens und verknüpfen das hie und da mit Textfragmenten bekannter Autoren. Der Text steht jedoch nicht im Vordergrund, er ist ein theatrales Element neben anderen. Stimme, Körpersprache, Musik, Rhythmus und Raum werden gleichberechtigt zu einer Performance verknüpft, die keine gradlinige Geschichte durcherzählt.

Das B.E.S.T. widmet sich somit dem, was man seit Ende der Neunzigerjahre unter dem Begriff „postdramatisches Theater“ zusammenfasst. Nicht allein deshalb ist das B.E.S.T. sehr zeitgemäß, sondern auch, weil es Erfahrungen und Erlebnisse der Akteure thematisiert. Damit ist Wenzel seit weit über 20 Jahren einer der Vorreiter des biografischen Theaters, das zuletzt durch Performance-Kollektive wie She She Pop oder Rimini Protokoll populär wurde.

Wenzel, der Anfang der Siebziger als Regieassistent unter Kurt Hübner am Bremer Theater die entscheidenden Impulse für sein Theaterverständnis bekam, ist es wichtig, seine Darsteller nicht in irgendwelche Rollen zu zwängen. Es gehe ihm darum, ihnen zu zeigen, dass ihr Leben auch für andere spannend sein kann, weil sie Ängste, Sorgen und Hoffnungen verhandeln, die sie mit vielen Menschen teilen. „Ich möchte im Theater Aspekte sehen, mit denen ich zu kämpfen habe und die andere stellvertretend auf der Bühne ausfechten“, sagt Wenzel. Diesem Motto folgt auch „FestHaltLos“, in denen die jungen Performer die Probleme und Chancen des Loslassens erörtern und vor allem da berühren, wo der Zuschauer authentische Emotionen spürt.

■ „FestHaltLos“: am heutigen Samstag und vom 16.–20. Oktober jeweils um 20 Uhr im ehemaligen Amt für Soziale Dienste, Schiffbauerweg 4; weitere Informationen unter: www.jugendtheater-best.de