Nicht Päpstin – Moderatorin

PROTESTANTEN Margot Käßmann mit fast sozialistischem Ergebnis an die Spitze der Evangelischen Kirche gewählt. Macht wird sie wenn, dann via Medien ausüben

Den konservativen Flügel des Protestantismus gibt es an der Spitze der EKD kaum

AUS ULM PHILIPP GESSLER

Die Dankesrede war typisch Käßmann: Ihre Großmutter, erzählte die Hannover’sche Landesbischöfin Margot Käßmann am Mittwoch in Ulm, sei ja kein Fan der Frauenordination gewesen. Aber als ihre Enkelin nach der Priesterweihe dann 1999 sogar zur Bischöfin gewählt wurde, habe die evangelikale Oma gesagt: „Wem der liebe Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch die Kraft, es auszufüllen.“

Darauf vertraue sie auch heute, sagte Käßmann vor den 142 Synodalen, die sie soeben mit fast sozialistischer Mehrheit an die Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt hatten. Somit ist erstmals in der bald 500-jährigen Geschichte des deutschen Protestantismus eine Frau ganz oben angekommen.

Zählt man die Präses der Synode, also die Vorsitzende des Kirchenparlaments, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne), noch hinzu, dann werden die 25 Millionen evangelischen Christen der Bundesrepublik jetzt von einer weiblichen Doppelspitze regiert. Weil am Mittwoch auch noch Bundeskanzlerin Angela Merkel wiedergewählt wurde, sagte Käßmann: Das sei wohl „der Tag der evangelischen Frauen“.

Die 51-Jährige erhielt in der Ulmer Synode 132 von 142 abgegebenen Stimmen. Das ist ein deutlicher Vertrauensbeweis, auch wenn wie üblich nur eine Person zur Wahl stand. Dass sie Ratsvorsitzende werden würde, stand de facto schon am Dienstag fest, als sie als Einzige von 21 Kandidaten im ersten Wahlgang in den Rat der EKD gelangt war – während alle anderen Bischöfe und mögliche Gegenkandidaten meist nur mühsamst nach etlichen Wahlgängen in den Rat hüpften.

Was aber bedeutet die Wahl Käßmanns für die Macht in der EKD und deren politische Richtung? Der Ratsvorsitz ist keine unbedeutende Position im deutschen Protestantismus, aber mit viel direkter Macht ist dieses Amt nicht ausgestattet. Die EKD ist ein Zusammenschluss von 22 Landeskirchen, und vor allem bei den jeweiligen Landessynoden und Kirchenleitungen liegt die eigentliche Macht. Die Ratsvorsitzende wird deshalb zwangsläufig eher Moderatorin als Päpstin sein, wenn es so etwas denn gäbe. Andererseits ist in einer Mediengesellschaft die Person an der Spitze des Protestantismus eben eine entscheidende Figur, die via Öffentlichkeit Macht hat. Käßmann spielt mit Bravour auf der Klaviatur der Medien.

Zugleich zählt die neue Ratsvorsitzende ohne Zweifel zu den liberalen Kräften im deutschen Protestantismus – ebenso ihr Stellvertreter Nikolaus Schneider, Chef („Präses“) der Evangelischen Kirche im Rheinland, und Göring-Eckardt. Der konservative, evangelikale Flügel des deutschen Protestantismus kommt an der Spitze der EKD und auch in dessen Rat kaum vor. Völlig falsch wäre übrigens auch die Vorstellung, dass eine Riege konservativer Männer im Hintergrund zwei schwache liberale Frauen nach vorne geschoben hätten, um umso ungestörter zu agieren. Käßmann steht weiter der größten Landeskirche der EKD vor. So ist die Macht in der EKD seit diesem Mittwoch in Ulm vor allem eines: weiblich.

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