: Sichten, entwickeln, proben
Seit der Veröffentlichung von Pisa I gelten Bildungsstandards als eine Art Wundermittel im Kampf für eine bessere Schule in Deutschland. Die dafür zuständige Einrichtung, das „Institut für Qualität im Bildungswesen“ (IQB), hat ihren Sitz in Berlin
VON JEANNETTE GODDAR
Wer wissen will, was Schüler wissen sollen, braucht bisher vor allem eines: viel Zeit. Für jedes Fach und jedes Schuljahr liegt in jedem Bundesland ein Lehrplan vor. Künftig soll, wer sich etwas schneller einen Überblick verschaffen will, auch einen Blick in bundesweit einheitliche Bildungsstandards werfen können. Standards stellen nicht Inhalte, sondern Kompetenzen in den Mittelpunkt und sind nicht ausufernd lang, sondern angenehm kurz. Und seit der Veröffentlichung von Pisa I gelten Bildungsstandards als eine Art Wundermittel im Kampf für eine bessere Schule in Deutschland.
Olaf Köller ist so eine Art Chef dieser Standards, und dass er das geworden ist, im föderalen Bildungsland Deutschland, ist schon ein kleines Wunder. Erst nach langen Debatten einigten sich die in Bildungsfragen stets und ständig auf ihre Hoheit pochenden Kultusminister darauf, die Weiterentwicklung und Normierung der Standards einem zentralen „Institut für Qualität im Bildungswesen“ (IQB) zu übertragen.
Zu dessen Leiter wurde Köller ernannt. Seit Jahresbeginn residiert der 41-Jährige in der Jägerstraße in Berlin-Mitte und ist vollauf mit dem Aufbau des Instituts beschäftigt. Bisher arbeiten im IQB außer Köller vor allem vier von den Ländern abgeordnete Lehrer sowie das Verwaltungspersonal. Folgen sollen eine Professur für pädagogische Diagnostik und eine für einen US-amerikanischen Experten für „Educational Measurement“ sowie weitere Doktoranden und Wissenschaftler. Bald sollen zwanzig Stellen besetzt und arbeitsfähig sein, sagt Köller.
Der Institutsleiter ist Psychologe, Lernforscher und akademischer Ziehsohn des Leiters des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung Jürgen Baumert. Und er ist langjähriger Experte in pädagogischer Diagnostik. Seit den frühen 90er-Jahren beschäftigt er sich mit dem Messen von Schulleistungen in verschiedenen nationalen und internationalen Teams; zuletzt als Professor an der Universität Erlangen. In Berlin steht er auch als Lehrender parat: Zwei Stunden pro Semester vermittelt er an der Humboldt-Universität „Empirische Bildungsforschung“.
Den wesentlichen Teil seiner Arbeitszeit am IQB wird die Normierung und Überprüfung der KMK-Standards in Anspruch nehmen. Was das heißt? Bildungsstandards benötigen Aufgaben, mit deren Hilfe sie sich messen lassen. „Ohne einen Pool von Aufgaben, die gründlich auf ihre Validität überprüft wurden, nützt der beste Standard nichts“, sagt Köller. Die Validität zu überprüfen heißt unter anderem, herauszufinden, ob die Schüler die Aufgaben verstehen, ob sie exakt das testen, was man sich verspricht, und ob – wie man es erwarten würde – gute Schüler es leichter, schwache Schüler es schwerer haben.
Also werden im IQB in den kommenden Jahren tausende Aufgaben gesichtet, entwickelt und zwecks Erprobung in die Schulen geschickt. In Mathematik ist man dabei am weitesten – nicht zuletzt dank der Zusammenarbeit mit dem für die jüngste Pisa-Studie verantwortlichen Leibniz-Institut in Kiel 400 Aufgaben werden demnächst von 6.500 Schülern Probe gerechnet.
Ist die Validitätsprüfung abgeschlossen, werden die Aufgaben normiert: Es wird festgelegt, welche Leistung zu welcher Kompetenzstufe des jeweiligen Bildungsstandards führt. In Mathe für die Sekundarstufe I soll der gesamte Prozess im kommenden Jahr durchlaufen sein. „2008 werden hoffentlich die meisten Standards samt Normierung stehen“, erwartet Köller, „in Ausnahmen kann es aber auch 2010 werden.“ Erstellt und normiert werden Standards für die Grundschule in Deutsch und Mathe, für die Sekundarstufe I zusätzlich in der ersten Fremdsprache und den Naturwissenschaften.
Nach Abschluss der Normierung wird den Bundesländern der Aufgabenpool zur Verfügung gestellt. Was die damit machen, ist allerdings offen: Die meisten Bundesländer wollen neben den Standards auch an den bestehenden Lehrplänen festhalten; auch eine Überprüfung der Implementierung findet nicht statt. Anders als beispielsweise in Finnland, Schweden oder den Niederlanden soll es in Deutschland weder flächendeckende Tests noch bundesweite Schulinspektionen geben. Das sei sowohl eine Geldfrage als auch politisch gewollt, sagt Köller: „Die Kulturhoheit der Länder bleibt erhalten.“ Dennoch gehe er „fest davon aus, dass die Arbeit, mit der man uns beauftragt hat, von den Ländern auch genutzt wird“.
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