: Zusammenstoß der Herrschaftsbereiche
Bestimmt waren ihre radikalen Fotomontagen für die Alternativ- und Untergrundzeitschriften der Gegenöffentlichkeit, ihren Stil fand Martha Rosler aber in der Kunst, besonders bei den Surrealisten. In Berlin ist nun eine konzentrierte Retrospektive der diesjährigen Spectrum-Preisträgerin zu sehen
VON BRIGITTE WERNEBURG
Als die Pop Art Mitte der Sechziger die Fotografie als Ästhetikum zu entdecken begann, da analysierte sie Martha Rosler gerade als Anästhetikum. Die klassische Dokumentarfotografie in strengem Schwarzweiß und mit großem humanistischen Anliegen verfiel diesem Verdikt wie die profane Kunstfotografie des Konsums, die Farbfotografie in Zeitschriften und Werbung. Roslers Kritik musste nicht als neu und revolutionär begriffen werden, sie konnte als gängige linke Position gelten. Aufregender schien es, wie Andy Warhol als Vertreter der Pop Art argumentierte. Nur als Anästhetikum qualifizierten sich Fotografie und Werbung für ihn überhaupt als Ästhetikum. Martha Rosler konnte diesen zynischen Zug offenbar goutieren, womit sie den linken Standpunkt hinter sich ließ. Denn sie zog mit, ließ sich vom fotografischen Alltag faszinieren, doch sie wusste: Das gleiche Betäubungsmittel, das eine schmerzlose Zahnoperation erlaubt, führt, anders eingesetzt, zu großer zerebraler Klarheit, zu scharfen, schmerzhaften Einsichten.
Also mixte sie mit dem Betäubungsmittel Bild einem bösen Cocktail visueller Readymades. Sie montierte sexy Pin-ups, propere Hausfrauen, herrlich funktionale Küchen und modernistisch elegante Wohn- und Schlafzimmern mit Nachrichtenbildern aus Vietnam. Plötzlich verschanzten sich Soldaten in der Küche, während im Wohnzimmer der Vietcong starb. Nachrichtenbilder sind ein Konsumgegenstand wie die moderne Küche, daran ließ Rosler keinen Zweifel. Tatsächlich erreichte sie die ätzende Schärfe ihres fotografischen Kommentars zur Rolle der Fotografie im Alltag von Krieg, Kommerz und Kommunikation, indem sie die Aufgabe der Nachrichtenagenturen, der Presse und des Fernsehens wortwörtlich ins Bild übersetzte: „Bringing the War Home“ (1967–1972).
Montage ist daher vielleicht nicht der richtige Begriff für Roslers Verfahren. Es war eher ein Zusammenstoß, den sie ins Werk setzte. In den Bildern fand sie die ideologisch jeweils genau umrissenen Herrschaftsbereiche der Institutionen Staat, Militär, Presse, Konsumgüterindustrie oder Familie und verkeilte diese visuell markierten Territorien hart ineinander. Dabei verstand sie sich als Malerin. „Bringing the War Home“ war nicht für den Kunstbereich, sondern für die Gegenöffentlichkeit bestimmt; für die Alternativ- und Untergrundzeitschriften der Antikriegs- und der Frauenbewegung, in denen Martha Rosler aktiv war. Das galt auch für „Beauty Knows No Pain“ (1965–1974), eine ihrer wichtigen frühen Arbeiten in der angenehm überschaubaren und konzentrierten Retrospektive „If not now, when?“, die die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst gerade in Berlin zeigt. In dieser Serie nutze Rosler den obszön fragmentierten weiblichen Körper, um die der Frau gesellschaftlich zugewiesene Rolle als förmlich aufgepfropft zu dekuvrieren. Der Impuls zu ihren radikalen Montagen kam also nicht aus der Auseinandersetzung mit der Kunst, sondern aus der politischen Arbeit. Ihren Stil fand sie trotzdem nicht bei John Heartfield und den Dadaisten, sondern bei den Surrealisten, besonders bei Max Ernst. Sie fand ihn in der Kunst, der Malerei, ihrem Metier als Künstlerin.
Das mag erklären, warum Roslers Montagen nicht auf das kohärente Bild zielen und die Teile hart, unversöhnt und tatsächlich etwas surreal gegeneinander stehen. Ihre Strategie, einen ideologisch definierten Raum – ob stilistisch, politisch oder sozial – in sich zu belassen, um ihn kalt gegen den nächsten zu schneiden, bewährte sich als kritische Methode auch bei Installationen, Performances, im Theoriediskurs oder bei der Organisation von Ausstellungen und Aktionen. Video war ein anderes unterschätztes alltägliches Bildmedium, dessen künstlerisches Potenzial sie in dieser Weise sehr früh, schon Mitte der Siebzigerjahre, aufzeigte. So komisch, brillant und erfolgreich wie „Semiotics of the Kitchen“ (1975) oder „Vital Statistics of a Citizen, Simply Obtained“ (1977) unterminierten freilich nicht alle Arbeiten das Frauenbild. Die allzu didaktische Geschlechterrollenkritik von „Martha Rosler Reads Vogue“ (1982) wirkt fad.
Der internationale Spectrum Preis für Fotografie der Stiftung Niedersachsen, der Martha Rosler dieses Jahr verliehen wurde und dem sich die vom Sprengel Museum Hannover übernommene, etwas verkleinerte Ausstellung im Berliner Haus am Kleistpark verdankt, zeichnet kein genuin fotografisches Werk aus. Dennoch ist die Entscheidung berechtigt. „The Bowery in Two Inadequate Descriptive Systems“ (1974–1975), eine 45-teilige Foto-Text-Installation, kann wohl als eine der folgenreichsten Hinterfragungen der Dokumentarfotografie gelten. Rosler fotografierte hier die heruntergekommenen Hausfassaden der Bowery, einer Straße in Manhattan, und kombinierte diese Fotos mit Texttafeln, die umgangssprachliche Ausdrücke für das Betrunkensein auflisteten. Damit war zwar die soziale Misere dieser Gegend angesprochen, aber das menschliche Gesicht des Elends, das er erwartete, wurde dem Betrachter vorenthalten.
Dieser konzeptuelle Ansatz, der nicht nur die Fotografie gebrauchte, sondern diesen Gebrauch selbst ebenfalls thematisierte, bahnte der Fotografie den Weg in den Kunstraum, der sich in der Folge nachhaltig veränderte. Neue Themen, neue Herangehensweisen, neue Medien und neue Teilnehmerinnen erweiterten den Begriff, den man sich nun von der Kunst machte. Martha Roslers Rolle in diesem Prozess kann nicht überschätzt werden.
Bis 23. Oktober, Künstlerbuch (Verlag Hatje Cantz), 29 €
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