Konkurrenzlos schlecht

Beim Parteitag der Berliner SPD stimmen gerade mal zwei Drittel der GenossInnen für Landeschef Michael Müller. Dabei hatte der noch nicht einmal einen Gegenkandidaten

Anstands­applaus: Michael Müller beim SPD-Parteitag Foto: Stefan Boness/Ipon

Von Uwe Rada

Einer, der mit seiner Kritik an Michael Müller nicht hinterm Berg hält, ist Dennis Buchner. Der Abgeordnete aus Pankow hat schon vor dem Parteitag der SPD am Wochenende angekündigt, Michael Müller seine Stimme zu verweigern. Vor der Abstimmung am Samstag legte er nun nach, sagte in einem Interview: „Der Parteitag findet im Keller statt. Und da befinden sich auch unsere Umfragewerte.“ Er wolle aus diesem Keller wieder raus, forderte Buchner. Aber mit Michael Müller als Landesvorsitzendem der Berliner SPD, lautet seine Botschaft, ist dies nicht mehr möglich.

Als Müller, im Hauptjob Regierender Bürgermeister von Berlin, am Samstagmorgen in dem im Kellergeschoss gelegenen Tagungssaal des Andel’s Hotels ans Mikrofon tritt, kündigt er an, keine gewöhnliche Parteitagsrede zu halten. Tatsächlich richtet er das Wort ungewöhnlich offen an seine Kritikerinnen und Kritiker wie Dennis Buchner. „Ich habe gehört, heute muss ich mal einen Denkzettel bekommen“, ruft Müller den knapp 250 Delegierten in seiner Rede zu und droht dann indirekt sogar ein bisschen mit Rücktritt. „Ich bin gern euer Vorsitzender, aber ich muss es nicht sein. Wenn ihr denkt, dass ich das Problem bin, dann sagt es jetzt und heute.“

Zum Rücktritt kam es nach der Abstimmung nicht, doch den Denkzettel, den hat Michael Müller bekommen. Nur von zwei Drittel der Delegierten erhielt der 54-Jährige die Zustimmung. 161 stimmten für Müller, 61 votierten gegen ihn, 12 Delegierte enthielten sich. Damit erzielte Müller knapp 65 Prozent. Vor zwei Jahren konnte er noch 81,7 Prozent der Delegierten von sich überzeugen.

Mit diesem Ergebnis steht Müller als Landesvorsitzender noch schlechter da als die SPD-Bundesvorsitzende Andrea Nahles, die bei ihrer Wahl im April 66 Prozent erzielte. Allerdings hatte Nahles eine Gegenkandidatin. Müller dagegen war beim Parteitag in Lichtenberg der Einzige, der sich als Landesvorsitzender zur Wiederwahl stellte. Für viele Mitglieder sei die SPD eher eine NGO, kommentierte ein führender Sozialdemokrat das Ergebnis. „Ein Drittel der Bundespartei und der Berliner SPD können sich nicht damit abfinden, in der Regierung zu sein, egal ob in einer Großen Koalition oder in einem rot-rot-grünen Bündnis.“

Dabei hatte Müller in seiner Rede alle Register gezogen, seine Verdienste in der Debatte über ein Solidarisches Grundeinkommen hervorgehoben. Zu Hartz VI sagte er: „Vielleicht war das richtig vor 15 Jahren. Vielleicht hat unsere wirtschaftliche Stärke auch damit zu tun. Aber die Lösung der Vergangenheit kann nicht die Antwort für die Zukunft sein.“

Doch auch die Distanzierung von den ungeliebten Hartz-Gesetzen half nicht. Zu groß ist der Frust über die anhaltend schlechten Umfrageergebnisse. Zuletzt lag die SPD bei einer Forsa-Umfrage vom Samstag zusammen mit den Grünen mit 18 Prozent auf Platz drei. Auf Platz eins steht die Linke mit 20 Prozent, gefolgt von der CDU mit 19 Prozent. Bei der vergangenen Wahl zum Abgeordnetenhaus im September 2016 hatte die Berliner SPD 21,6 Prozent bekommen – es war damals das schlechteste Ergebnis der SPD in der Stadt Willy Brandts.

Dieser ungebremste Fall, aber auch Müllers Führungsstil hatten ihm im Vorfeld des Parteitags zahlreiche kritische Stimmen eingehandelt. Der Berliner Staatssekretär für Bildung, Mark Rackles, sprach etwa von „Mehltau“, der über der Berliner SPD liege – und kündigte an, nicht mehr als Parteivize zu kandidieren. Selbst der langjährige Chef der Senatskanzlei meinte: „Das Grundproblem der SPD ist, dass sie keine klare Linie mehr hat.“ Für viele in der Hauptstadt-SPD ist Müller tatsächlich nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.

„Dann gute Nacht, Marie“

Mit gerade mal 64,9 Prozent wurde Michael Müller von knapp 250 Delegierten als Landesvorsitzender wiedergewählt.

Als seine StellvertreterInnen bestätigte der Parteitag Andreas Geisel (78,5 Prozent) und die Abgeordnete Iris Spranger (52,8). Neu dabei sind Ex-Juso-Bundesvize Julian Zado (61,4) und die Abgeordnete Ina Czyborra (72,8).

Als Spitzenkandidatin für die Europawahlen im Mai 2019 wurde Gewerkschaftsfunktionärin Gabriele Bischoff nominiert.

Den meisten Beifall am Samstag bekam denn auch nicht Müller, sondern der Juso-Bundeschef und Groko-Gegner Kevin Kühnert. „Viel mehr Sorgen, als dass wir bei 15 Prozent landen, mache ich mir über R2G“, sagte der 28-Jährige. „Fährt das Projekt R2G an die Wand, haben wir in einer Stadt, wo es Zweier-Regierungen nicht mehr gibt, eine Situation, in der regiert Kenia oder Jamaika, und dann gute Nacht, Marie.“

Doch es ist nicht zuletzt Müller, der inzwischen sowohl für die Berliner SPD als auch für die rot-rot-grüne Koalition zum Problem geworden ist. Immer wieder hatte er vor dem Parteitag die Linke und deren Bausenatorin, Katrin Lompscher, attackiert und ihr vorgeworfen, zu wenige Wohnungen zu bauen. Der Chef der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, twitterte daraufhin: „Ach wie schön, es wird wieder Parteitag, die Sozis schlagen aus.“ – „Ach Gottchen“, antwortete Müller in seiner Rede am Samstag auf den Vorwurf, er würde die Linke angreifen, um in der eigenen Partei ein besseres Ergebnis zu bekommen. Nach dem mauen Ergebnis könnte nun eher Wolf zu Müller sagen: „Ach Gottchen“.

Den lange ersehnten Befreiungsschlag hat die Berliner SPD am Samstag jedenfalls nicht geschafft. Und auch nicht am ersten Tag der Parteizusammenkunft am Freitag. Zur Wahl stand die Spitzenkandidatur für die Europawahlen im kommenden Mai. Kandidiert hatte auch die Berliner Juso-Vorsitzende Annika Klose. „Gebt mir eure Stimme und lasst uns gemeinsam Europa auf links drehen“, bat Klose die Delegierten um ihre Zustimmung. Auch Kevin Kühnert unterstützte Klose. „Wenn es die Jungen sind, die Europa retten müssen, braucht es auch eine Vertretung der Jungen“, sagte Kühnert. „Es geht darum, einer ganzen Generation eine Stimme im Parlament zu geben.“

Doch am Ende entschieden sich die Delegierten für die 57 Jahre alte langjährige Gewerkschafterin Gabriele Bischoff. Und Kühnert, den Müller eigentlich zum stellvertretenden Parteivorsitzenden in Berlin machen wollte, wurde vom eigenen linken Flügel ausgebremst. Dieser entschied sich lieber für den unbekannten Juso Julian Zado. Mutig nach vorne blicken sieht anders aus.