Helden der Moderne

Stolz zur Schau gestellte Männlichkeit in Carol Huebner Venezias Fotografien aus der Welt des US-Boxsports. Sol LeWitt treibt in seinen Wandzeichnungen den malerischen Konzeptualismus von Josef Albers auf die Spitze: Eine ungewöhnliche Doppelausstellung im Bottroper Museumszentrum Quadrat

AUS BOTTROPKÄTHE BRANDT

Sol Lewitts Neutralität bei der Ästhetik seines Werkes ist programmatisch: „Well, if it turns out to be beautiful I don‘t mind.“ Das Bottroper Josef Albers Museum zeigt in der auf Jahre angelegten Ausstellungsreihe „Albers im Kontext“ zentrale Positionen der amerikanischen Gegenwartskunst. So sucht man die malerischen und konzeptuellen Bezüge der jüngeren Künstlergeneration zu dem 1933 in die U.S.A. emigrierten und dort hoch angesehenen Bauhaus-Lehrer herauszustellen. Agnes Martin hatte im vergangenen Jahr eine erste Ausstellung in Bottrop, jetzt ist es Sol LeWitt (geb. 1928), der die Wände des Ausstellungstrakts mit geometrischen Farbfeldern zu einem großen Bild hat machen lassen: „Seven Basic Colors And All Their Combinations In A Square Within A Square“. Der Titel beschreibt die materielle Substanz. Gleichzeitig das Konzept der Wandarbeit.

Zentrales Thema der Malerei von Josef Albers sind die Wechselwirkungen der Farben, die Veränderung ihres Wertes im nachbarschaftlichen Aufeinandertreffen. Die ineinander geschachtelten Quadrate sind so zum Markenzeichen geworden für einen Brückenschlag, der Albers mit seinem Schaffen in den USA gelang: der Übertritt vom abstrakten Expressionismus der 1940er und 1950er Jahre zur Minimal und Concept Art der 1960er Jahre. Die konstruktive Verwandtschaft der Malerei LeWitts zu Albers bedeutet allerdings nicht, dass die anschaulichen Sensationen eine ähnlich starke Wirkung besitzen. Deutlich wird vielmehr die inzwischen gewonnene Distanz, die LeWitt von Albers trennt. Waren die Farbe und ihre Interaktion das Hauptmotiv im Schaffen des deutschen Malers, so versteht der jüngere Minimal- und Concept-Art-Künstler seine Arbeit und den eigenen Status konzeptionell: als Idee von Farbe, Bild, Malerei und von Künstlertum.

Ganz anders die Helden im Boxring, deren Welt nach wie vor konkret bleibt. Für die bestürzende Melancholie und Verletzlichkeit der Männer auf den Bildern der amerikanischen Fotografin Carol Huebner Venezia bietet der Boxsport einen institutionellen Rückhalt, indem er maskulines Heldentum managt. Der Sport folgt dabei den Regeln eines zentralen Strukturprinzips der Gesellschaft – der Betonung der geschlechtlichen Differenz zur männlichen Selbstkonstruktion. Dabei wirken die halb dokumentarischen Boxer-Bilder Huebner Venezias – wie schon früher ihre Bildserie über moderne Cowboys – wie Studienmaterial zur Erforschung anthropologischer, soziologischer oder psychologischer Phänomene. Wir erfahren, was wir irgendwie schon wissen: dass in den USA meist farbige Männer aus unterprivilegierten Gesellschaftsschichten davon träumen, mittels des Sports berühmt und reich zu werden. Die Boxchampions der italienischen Boxställe hingegen präsentieren sich auf ganz andere Weise. Sie posieren wie die drei Göttinnen im antiken Mythos des Parisurteils. Hier geht es mehr um Ästhetik und Schönheit.

Die männliche Ehre wird in aufwendigen Ritualen definiert, die den Mythos des alleine und einsam kämpfenden Helden bis in die Gegenwart lebendig halten sollen. Dass nach wenigen Jahren Ruhm und Prestige meist vergessen sind und auch die einstmals populären Profiboxer oft arm und einsam sterben, scheint subkutan immerhin gegenwärtig zu sein. Oder auch nicht. Wie bei Iran „The Blade“ Barkley, der, obwohl viel zu alt, immer noch an seiner einstigen Größe festhält und in dieser Illusion das Boxen nicht sein lassen kann. Die zur Schau gestellte Männlichkeit des modernen Helden ist fragil. Er scheint einsam und verloren – auch wenn er seine Suche in düsterer Verbissenheit grimmig und fast zwanghaft fortsetzt.

Was aber die beiden sehenswerten Ausstellungen in Bottrop miteinander zu tun haben, ist eine schwierige Frage, vielleicht auch eine überflüssige. Vielleicht ist die Botschaft einfach die unterschwellige Gewissheit, dass die Dekonstruktion des Helden der Moderne unumkehrbar ist.

Quadrat Bottropbis 20. November 2005Infos: 02041-29716