: Kollektives Haarsträuben
Der Trash-Archivar Jack Stevenson sammelt unter anderem, was herauskam, als merkwürdige Kirchen sich des Science-Fiction-Kinos zu bedienen versuchten – Abaton und 3001 zeigen es
von Volker Hummel
Es überrascht kaum, dass bei der finanziellen Unterstützung von Filmen durch Kirchen die moralischen Botschaften nur ein dünnes Mäntelchen tragen. Umso erstaunlicher ist, dass es sich bei diesen Kostümen meist um futuristische Klamotten handelt.
Überhaupt scheint kein Genre eine größere Affinität zu religiöser Metaphorik zu haben als die Science-Fiction. Schon das erste derartige Zusammentreffen von Kirche und Kino wurde zum unsterblichen Meilenstein: Ed Woods Plan 9 From Outer Space (1959) wurde von den Baptisten gesponsert. Ihre Botschaft sucht man im Film vergeblich, aber immerhin vereitelten sie den ursprünglich vorgesehenen Titel – „Grave Robbers from Outer Space“ – und bewegten die gesamte Crew dazu, sich taufen zu lassen.
Mit dem drei Filme umfassenden Programm „Plan 9 From Church“ knüpft der Filmarchivar Jack Stevenson jetzt in Abaton und 3001 an die damals begonnene Allianz zwischen Kirche und SF-Kintopp an. Anschauungsmaterial bieten drei amerikanische TV-Episoden aus den 70er Jahren. In dieser augenscheinlich nach Erweckung dürstenden Dekade entstanden viele 16-mm-Produktionen, die von religiösen Gruppen wie den Mormonen, Unariern oder Paulisten finanziert und vor Schulklassen, in Kirchenkellern oder im Fernsehen gezeigt wurden.
Besonders aktiv waren die Paulisten, deren Reihe Insight TV am Sonntagnachmittag gesendet wurde. Jede der 25-minütigen Episoden war einer universalen moralischen Message gewidmet. Die beiden nun von Stevenson ausgewählten Filme der Paulisten stehen an gegensätzlichen Polen des Spektrums ästhetisch-moralischer Erweckung. Christmas 2025 (1977) lässt keinen Zweifel an seiner Botschaft: Durch die Billigkulissen einer in ihren Grundrissen angedeuteten Big-Brother-Gesellschaft, die jede Emotion und Freude als Verschwendung von Produktivkraft bestraft, stolziert eine ewig lächelnde Jesus-Figur und propagiert die Freuden von Liebe, Natur und Spiel.
Nach Vertretern eines moralischen Bewusstseins sucht man in der radikalen Medienschelte All Out (1975) vergeblich: Der Film zeigt eine TV-Show, deren Mitspieler ans große Geld kommen, indem sie sich vor Publikum demütigen. Sie enthüllen ihre dunkelsten Geheimnisse, schlagen ihre Liebsten und überreden sie zu Russisch Roulette. Als Kulisse dienten die Hintergründe einer echten TV-Show, die Werbeeinblendungen sind ebenso real wie der Moderator Bob Hastings, und auch sonst verrät nichts, wo die Linie zwischen Erfindung und Realität verläuft. Das Ergebnis ist eine der besten Mediensatiren aller Zeiten, die gerade durch ihren Verzicht auf eine Stellungnahme das moralische Bewusstsein des Zuschauers weckt.
So, wie diese kirchlichen Produktionen versuchen, eine Balance zwischen Botschaft und Entertainment hinzubekommen, leben auch die Shows des Jack Stevenson zugleich von ihrem unterhaltsamen Trash-Charme und ihrem historischen Wert. Seit 1986 stellt der US-Amerikaner thematisch zusammengefasste Programme zusammen. Sein Material sind 16mm- und 35mm-Filmrollen und -schnipsel, die er in Filmlabors, auf Flohmärkten und Auktionen, auf Müllkippen und in bankrotten Kinos findet. In seinem Keller in Dänemark, wo er seit 1993 lebt, lagern über 500 Filme.
Stevenson ist jedoch keiner dieser Sammler, die das Material hinter Panzerglas für die Ewigkeit konservieren wollen. Ihm geht es um den Live-Aspekt seiner Screenings, die Momente, in denen sich dem Publikum kollektiv die Nackenhaare sträuben. Gelegenheit dazu bieten diesmal außerdem zwei den Teenagern gewidmete Reihen. In „Sex, Fear & Horror in the Classroom“ führen da Aufklärungsstreifen wie All Women Have Periods in die dunklen Abgründe jugendlicher Sexualität – wie Erwachsene sie sehen.
Noch verstörender wird es dann schließlich in der „Monster Teenie Show“, in der unter anderem der 25-minütige Klassiker Narcotics? Pit of Despair den Weg eines unschuldigen Jungen von Pillen über Pot und Heroin bis in den Knast nachzeichnet – und zu noch Schlimmerem!
„Plan 9 From Church“: heute, 20 Uhr, „Sex, Fear & Horror in the Classroom“, heute, 21.45 Uhr, beide Abaton; „Monster Teenie Show“: Do, 8. 9., 22.30 Uhr, 3001. Jack Stevenson stellt alle Programme persönlich vor
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