Im Kopf ist nur noch Wahl

Die Bundestagswahl hat begonnen. Über 20.000 Bremer haben sich festgelegt und persönlich ihre Stimme im Wahlamt abgegeben oder Briefwahlunterlagen angefordert. Die Abstimmung aus der Ferne wird beliebter, kostet den Staat aber Geld

Bei dieser Bundestagswahl muss alles schneller gehen

bremen taz ■ Die Koffer stehen bereit. Fein säuberlich nach Wahlbezirken sortiert stehen sie in den Regalen im Wahlamt und warten darauf, dass sie am 17. September mit Wahlunterlagen, Kugelschreibern und Registern gefüllt werden. Am nächsten Tag werden die Wahlvorstände sie abholen und in die Wahllokale bringen, damit die Wahl zum 16. Bundestag ordnungsgemäß über die Bühne gehen kann.

Es ist Tag 15 vor der Wahl und die Bremer haben bereits begonnen, ihre Stimmen abzugeben. Nur ein paar Meter von den Koffern entfernt hat sich eine 71-Jährige in die Schlange eingereiht und betrachtet die Wahlkabinen, die andere Bremer besetzen. „Ist doch egal, ich kann doch auch hier am Tisch wählen“, sagt die Schwachhausenerin. Sie gibt seit über 25 Jahren der SPD ihre Stimme und will es auch diesmal wieder tun. „Weil die gegen den Irakkrieg waren“, sagt sie. Da brauche sie den Endspurt des Wahlkampfes nicht abzuwarten.

Sie wählt nicht am 18. September in ihrem Wahllokal, weil sie „da etwas vor hat“. Für die Rentnerin ist es praktisch, dass sie vorher abstimmen kann, gegen Vorlage ihres Personalausweises, die Wahlbenachrichtigungskarte, die jeder Wähler per Post bekommt, ist für die Wahl nicht nötig. Die Rentnerin muss heute nicht lang warten, obwohl sich manchmal Schlangen bis vor die Tür bilden.

Die Mitarbeiter im Wahlamt denken differenziert über die Frühwähler. „Viele sind unfreundlich, ich weiß gar nicht warum“, sagt eine Mitarbeiterin. Normalerweise arbeitet sie im Versorgungsamt. Da hätte aber noch nie einer den Senator verlangt, nur weil sie erklärt hätte, dass man nicht mit einer Vollmacht für einen Angehörigen abstimmen könnte, erzählt sie.

Die meisten Mitarbeiter im Wahlamt sind aus anderen Behörden abgeordnet. So auch Maren Zilm, die sich mit 20 Anderen um die Wahl aus der Ferne kümmert. „Briefwahl wird immer beliebter“, sagt Gruppenleiterin Zilm – und immer teurer für den Steuerzahler. Ein Euro Porto für den Brief, dazu jede Menge zusätzlicher Umschläge für die Unterlagen. „Manchen muss ich auch noch einen Liebesbrief schicken, weil sie vergessen haben, die Unterlagen zu unterschreiben“, erklärt Zilm, die sich zwischen den vielen gelben Postboxen durchwinden muss, aus denen die Aushilfskräfte die Briefe ziehen. Außerdem müssten sich immer mehr Mitarbeiter mit der Briefwahl beschäftigen, selbst die, die am Telefon Fragen der Wähler beantworten, tüten nebenbei Wahlunterlagen ein. „Wenn das so weiter geht, haben wir in diesem Jahr 75.000 Briefwähler, so viele wie nie zuvor“, sagt Maren Zilm. Das wäre fast ein Fünftel der im Land Bremen Wahlberechtigten. Bundesweit hat die Zahl der Briefwähler ebenfalls zugenommen, 2002 waren es 18 Prozent.

„Für viele ist das einfacher, manche wollen ihren Tag frei bestimmen“, glaubt Frank Treffenfeld, Sprecher des Wahlamtes. An der bisherigen Beteiligung könne man nicht auf die Wahlbeteiligung schließen, dennoch sei klar, dass diese Wahl besonders sei. „Das Interesse ist deutlich größer.“ Es seien nicht nur die Kranken und Immobilen, die aus der Ferne abstimmten, sondern auch immer mehr jüngere Leute.Die Mitarbeiter fragen nicht nach Gründen für die Abwesenheit, auch wenn jeder Wähler ankreuzen muss, warum er am Wahltag seine Stimme nicht persönlich abgeben kann.

Treffenfeld hat von dem Tag als SPD-Chef Franz Müntefering das erste Mal über Neuwahlen nachdachte „nur noch an Wahl gedacht“. Die Fristen waren in diesem Jahr kürzer, alles musste schneller gehen. „Jetzt sieht es aber gut aus“, sagt Treffenfeld als sein Telefon klingelt. „Nein, da müssen Sie die 361-88888 anrufen“, sagt der Sprecher in den Hörer: „Da wird Ihnen erklärt, wo sie wählen können.“ Dreimal muss er das der alten Dame am anderen Ende der Leitung vorsagen. „Das kommt häufiger vor, gehört aber mit dazu“, sagt Treffenfeld, für den der Dienst im Wahlamt eine willkommene Abwechslung zum Dienst im Statistischen Landesamt ist, wo sich der 33-Jährige sonst um die Bevölkerungsstatistik kümmert.

Am Wahlabend wird er wie alle anderen Mitarbeiter im Einsatz sein, bis gegen 0 Uhr alle Stimmen ausgezählt und die Ergebnisse übermittelt sind. Und irgendwann werden auch die dann leeren schwarzen Koffer wieder in die Regale zurückgeräumt – bis zur nächsten Wahl. Treffenfeld, Zilm und die anderen werden vermutlich wieder dabei sein. kay müller