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Der analoge Bums der Orchesterpauke

Mit Notenlesen hat er es nicht so. Henrik Schwarz, seit fast zwanzig Jahren in Berlin lebender Schwabe, arbeitet auf seinem neuen Album, „Scripted Orkestra“, trotzdem weiter an der Vermählung von klassischem Orchester und Clubsound

Von Andreas Hartmann

Auf seinem bislang letzten Album vor drei Jahren mit dem Titel „Instruments“ präsentierte Henrik Schwarz, von Haus aus eigentlich Techno- und House-Produzent, eine Art Best of seines bisherigen Schaffens im Kleid opulenter Orchesterversionen. Das Tokyo Sound Orchestra tauschte elektronische Beats aus gegen Streicherklänge, aus Clubmusik wurde kontemplative Zuhörmusik. Henrik Schwarz, seit fast 20 Jahren in Berlin lebender Schwabe, feierte hier seinen Einstand in der damals noch gar nicht so wie heute gehypten Sphäre der sogenannten Neoklassik, von der Verächter sagen, diese sei im Allgemeinen nicht viel mehr als das Zusammenrühren von ein paar Klischees aus der Herbert-von-Karajan-Welt mit Klangfiguren der Clubmusik. Die Kritiken zu dem Album waren dann auch meist von der Art: Kann man gut zum Bügeln hören, diese Musik, braucht aber niemand zwingend.

Doch Schwarz, der sich in den Nullerjahren noch vor allem darum bemühte, ein wirklich deeper House-Produzent zu sein, der auch etwas von Soul und Jazz versteht, verteidigte in Interviews seine Bemühungen, sich vom Track-Programmier zum großen Komponisten zu verwandeln, und kündigte an, einfach weiter in die eingeschlagene Richtung zu gehen. Mit seinem neuen Album „Scripted Orkestra“, das er zusammen mit dem holländischen Metropole Orkest eingespielt hat, das alle Arten von klassischer bis nichtklassischer Musik draufhat, löst er sein gegebenes Versprechen nun ein.

Die acht Stücke, die hier zu hören sind, wurden nicht mehr als Clubmusik vorformuliert und dann für das 52-köpfige Orchester umgeschrieben. Schwarz, das Metropole Orkest und deren Leiter Jules Buckley arbeiteten von Beginn an gemeinsam an dem großen Ziel, Orchesterklang und gerade Bassdrum symbiotisch miteinander zu verbinden. Dass für Schwarz die Clubmusik irgendwann ein zu eng gesteckter Rahmen werden würde, deutete sich schon vor seinem Schielen in Richtung Philharmonie an. Mit dem grenzgängerischen Jazzpianisten Bugge Wesseltoft aus Norwegen arbeitet er bereits seit mehreren Jahren immer wieder zusammen und hat zwei Alben mit ihm eingespielt.

Allerdings waren diese Ausflüge in den Jazz für den Jazz-Fan Schwarz sicherlich weniger das Betreten von Neuland als bei seinem aktuellen Flirt mit der Klassik. Mit dem Notenlesen, das sagt Schwarz selbst, habe er es nicht unbedingt. Wesseltoft ist übrigens auch auf dem neuen Album von Schwarz wieder mit von der Partie, allerdings wird sein Pianospiel vom vollen Orchesterklang des Metropole Orkest ziemlich an die Wand gedrückt.

Damit erst gar keine Fragen aufkommen, wer letztendlich für das Ergebnis auf „Scripted Orchestra“ hauptverantwortlich ist, steht in den Credits des Albums: geschrieben, komponiert, vorarrangiert und produziert von Henrik Schwarz. Der durchgängig gefällige Ton des Orchesters, der ein wenig an eine bombastischere Version von Steve-Reich-Kompositionen erinnert, geht also auf das Konto des Berliners, der ganz offensichtlich gar nicht im Sinn hatte, den von der neoklassischen Szene längst überstrapazierten Reich auch mal beiseitezulassen und wirklich etwas Neues zu wagen.

Überraschend sind Momente, in denen etwa ein Orchesterstück plötzlich von der soulig-samtenen Stimme des Sängers Ben Westbeech getragen wird oder eine Techno-Bassdrum einsetzt, bei der sich bald herausstellt, dass es sich um gar nichts Programmiertes, sondern offensichtlich um den analogen Bums einer Orchesterpauke handelt. Doch von diesen Momenten gibt es auf dem Album leider zu wenige.

Henrik Schwarz/Metropole Orkest: Scripted Orkestra (7K!)

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