Projekt zum Herstellen von Trickfilmen: Das freundliche Alien
Deutsch lernen am Trickfilmtisch. Die Filmemacherin und Künstlerin Julia Kapelle produziert mit Willkommensklassen Animationsfilme.
„Was hat das jetzt mit mir zu tun?“ Diese Frage stellte sich Julia Kapelle in ihrer Schulzeit angesichts dröger Texte in Englischbüchern, die die Lust auf den Sprachunterricht nicht gerade befeuerten. Den Schüler*innen der Berliner Willkommensklassen, in denen die Filmemacherin und Künstlerin Kapelle mit ihrem „Mobilen Sprachlabor“ unterwegs ist, stellt sich diese Frage nicht.
Innerhalb einer Woche entwickeln sie im Projekt Trickmisch Geschichten und Figuren, aus denen sie vertonte Trickfilme herstellen. Das Team des Sprachlabors besteht aus 15 KünstlernEs ist ein „Sprachkurs zum Deutsch lernen, der Spaß macht und zum Spielen einlädt“, wie es auf der Trickmisch-Website heißt.
„Die Ideen für die Filme sind immer individuell, manche Schüler haben ganz klare Vorstellungen. Gut ist eine Idee, wenn man sie in drei Sätzen zusammenfassen kann und gleich Bilder dazu hat“, sagt Kapelle. Es gibt spaßbetonte Filme wie „Die Fußballparty“, wo die Protagonisten Neymar und Ronaldo heißen und einen Beatboxwettbewerb ausfechten, und Filme, die existenzielle Themen behandeln. In „Schwierige Liebe“ werden zwei lesbische Mädchen in ihrer Heimat vom Imam zum Tode verurteilt, flüchten und finden in Berlin eine neue Heimat, in der sie sogar heiraten können.
Schnelle Verständigung bei den Kindern
Die meist zwölf Schüler*innen einer Willkommensklasse teilen sich in zwei- bis vierköpfige Teams, überlegen gemeinsam, welche Geschichte sie erzählen wollen. In den Willkommensklassen geschieht das überwiegend auf Deutsch. „Es ist beeindruckend, wie schnell die Kids sich verständigen können. Bei Erwachsenen dauert das entschieden länger“, sagt Kapelle.
Das Mobile Sprachlabor Trickmisch findet man unter http://www.trickmisch.de.
Am 20. Juni ist Kinopremiere im Arsenal, Berlin. 10–12 Uhr, Anmeldung: kino@trickmisch.de.
Im internationalen Team des Mobilen Sprachlabors gibt es aber auch „Leute, die Arabisch und andere Sprachen sprechen. Durch das Machen entsteht Kommunikation, diese drückt sich durch das Zeichnen aus“, sagt Kapelle.
Nachdem die Schüler eine Schwarzweißzeichnung erstellt haben, schieben sie sie durch eine Plottingmaschine, die das Bild in eine Vektorgrafik umwandelt und sie entlang der Linien und Kurven ausschneidet. Dabei kommt eine Scherenschnittfigur heraus, die mit Gelenken versehen auch beweglich gemacht werden kann. Die wird dann im Stop-Motion-Verfahren auf dem Leuchttisch Schritt für Schritt abfotografiert und dadurch in Bewegung gebracht.
Texte werden selbst eingesprochen
Die Filme folgen alle einem ähnlichen Schema. Ihre Bilder sind mit Zwischentexten versehen, die gleichzeitig auch zu hören sind. Bei jeder Entwicklungsstufe sind die Schüler dabei, sprechen die Texte auch selbst ein. „Es ist so schön, mit den Willkommensklassen zu arbeiten, weil es eine so superkonzentrierte Stimmung ist.
Sie können zunächst die Trickfilmerfahrung machen und dann ihre Erfahrungen weitertragen“, sagt Kapelle. Zukünftig wollen Kapelle und Team auch mit Regelklassen kooperieren. Wenn die Neuzugänge ihre Expertise an die Regelklässler weitergeben können, ist das nicht nur ein integratives Moment, sondern sicher auch gut für das Selbstbewusstsein.
Julia Kapelle vermittelt das Filmemachen seit zwölf Jahren. Sie hat an der Kurzfilmschule Hamburg unterrichtet und arbeitet seit 2009 mit Willkommensklassen, als es noch gar nicht so viele gab. „Die Idee für Trickmisch ist in der Praxis entstanden“, sagt sie. „Die Kinder sind gut auf das Medium Zeichnung angesprungen. Das spielerische Element stand im Vordergrund, es war nicht sprachfixiert. Es war beeindruckend, wie viel Lust da war, zu erzählen. Dann war klar: Es wäre toll, das zu verbinden.“
Das Team des Sprachlabors besteht aus 15 Künstlern
2014 hat Kapelle das Mobile Sprachlabor zusammen mit der Künstlerin Nadine Reschke gegründet. Reschke stieg zwei Jahre später wieder aus. Das Team des Mobilen Sprachlabors besteht aus 15 Künstlern, darunter auch der syrische Künstler Wasim Ghrioui. Das Projekt wird seit drei Jahren vom Projektfonds Kulturelle Bildung finanziert, die Förderung läuft im Juli 2019 aus. „Ziel ist die stetige Förderung vom Senat“, so Kapelle.
Bis dahin gehen sie weiterhin auf Schulen zu, mit manchen kooperieren sie bereits seit vier Jahren. Auch mit der Arabischen Bibliothek, die ihren Sitz in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin hat, arbeiten sie zusammen. Einmal im Jahr gibt es eine Vorführung im Arsenal-Kino, wo alle Filme gezeigt werden.
Alle Filme sind auf der Trickmisch-Website anzusehen, die auch als Archiv dient. Dort sind Bilder, die Schüler als Scherenschnitte angefertigt haben, hinterlegt: Figuren, Autos, Bäume, Früchte. Klickt man eines an, ist das Wort inklusive Artikel zu lesen und zu hören, demnächst auch in den Muttersprachen der Filmemacher*innen. Es gibt Spezifizierungen: „der oder das Alien“ ist auch als „der oder das freundliche Alien“ oder als „der oder das böse Alien“ vorhanden. Mit jedem neuen Film kommen neue Begriffe dazu.
Lehrer*innen können zu einem Film Arbeitsblätter erstellen, die sie im Sprachunterricht verwenden können. Diese wiederum sind für alle verfügbar – es geht nichts verloren. Die Begriffe im Bildwörterbuch sind miteinander vernetzt, klickt man beispielsweise auf die Ananas, erscheinen alle Filme, in denen eine Ananas vorkommt. „Dadurch entsteht auch ein kollektives Geschichtenerzählen“, sagt Kapelle.
Interaktive Webseite
Will man nun gern selbst einen Trickfilm machen, wird man auf die interaktive Website Trixmix.tv weitergeleitet und kann sich dort aus existierenden Bildern, Hintergründen und Texten ein Setting für einen Film zusammenstellen, sie auf den Tricktisch legen, anordnen, drehen, spiegeln und wie bei einem professionellen Stop-Motion-Programm Foto für Foto einen Film animieren.
Diese digitale Fortführung der analogen Trickfilmgestaltung setzt das Mobile Sprachlabor ein, seit es 2016 begonnen hat, in Berliner Notunterkünften Kurzworkshops durchzuführen. „Mit dem digitalen Trixmix-Tool ist man flexibler, schneller, man braucht nur einen Computer“, sagt Kapelle.
Bei den Eintagesworkshops in der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB), mit denen sich das Mobile Sprachlabor inzwischen an die Öffentlichkeit wendet und bei denen auch deutsche Muttersprachler und Deutsch lernende höheren Alters willkommen sind, wird auf die Vertonung verzichtet.
Zuerst die Sprache, dann die Bilder
In vier Stunden können narrative Trickfilme erstellt, aber auch das neu entwickelte Format „Poesiefilm“ genutzt werden. „Da steht nicht die Geschichte im Vordergrund, sondern das Spiel mit der Sprache. Jeder Schüler sucht sich einen Buchstaben aus, den er zeichnet, dazu fünf Wörter in Deutsch und in seiner Muttersprache. Daraus werden Alliterationssätze gebildet und diese zum Teil unsinnigen Sätze bebildert. Beim Poesiefilm geht es also anders herum. Zuerst Sprache und dann Bilder“, sagt Kapelle.
Ein weiteres neues Format ist der „Sachfilm“, wozu auch die Rubrik „Wort vor Ort“ gehört. Hier gibt ein Ort das Thema vor. Bei einem Workshop im Museum für Kommunikation haben die Schüler*innen fachspezifisches Vokabular erarbeitet, und daher war eine Morselampe Hauptdarstellerin in einem Projektfilm. In einem Oberstufenzentrum haben sich die Schüler*innen selbst gezeichnet, sich in ihrem ausgewählten Beruf vor- und dargestellt, erzählen, warum sie sich für den Beruf entschieden haben.
„Das war interessant, weil sich die Schüler dann auch in ihren Geschichten immer selber inszeniert haben“, sagt Kapelle. Darüber hinaus erkunden die Schüler*innen ihr ausgewähltes Berufsfeld, besuchen Ausbildungsstätten und interviewen im Beruf tätige Leute. Das Mobile Sprachlabor fungiert so nicht nur als Deutschkurs. Die Teilnehmer*innen lernen mit den Geschichten der anderen gemeinsam und voneinander.
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