DIE CSU FOLGT IHREM CHEF NICHT MEHR BEDINGUNGSLOS
: Strafe für Stoibers Feigheit

93 Prozent – für die meisten Parteivorsitzenden wäre ein solches Wahlergebnis ein Erfolg. Für eine gewisse Angela Merkel etwa, die bei ihrer letzten Wiederwahl als CDU-Chefin gerade mal 88 Prozent erreichte. Ist es also kleinliche Erbsenzählerei, wenn jetzt alle von einem Dämpfer sprechen, nur weil CSU-Chef Edmund Stoiber mit 4 Prozentpünktchen weniger im Amt bestätigt wurde als vor zwei Jahren? Nein. Für Stoiber ist das Votum tatsächlich mehr als nur peinlich. Vorsicht, Edmund, so geht’s nicht weiter! – das ist die Botschaft, die sich insbesondere auch hinter den vielen Enthaltungen und ungültigen Stimmzetteln verbirgt.

Dieses Signal war gewollt. Es ist ja nicht so, dass die CSU-Delegierten von der Außenwelt abgeschnitten auf bayerischen Almen leben. Sie wussten schon genau, dass diesmal alle genau hinschauen würden. Sie wussten, dass Stoiber gerade jetzt eine klare Bestätigung gebraucht hätte – so kurz vor der Bundestagswahl, so kurz nach seinem Absturz in den Popularitätstabellen. Doch sie kamen ihm nicht zur Hilfe. Sie schwächten ihn. Warum? Sicher mag es einige Kommunalpolitiker gegeben haben, die einfach ihren Ärger über die Haushaltskürzungen der Landesregierung zum Ausdruck bringen wollten. Doch die nachlassende Bereitschaft, Stoiber bedingungslos zu folgen, hat tiefere Ursachen. In der CSU wächst die Sorge, dass Stoiber aus eigenem bundespolitischem Ehrgeiz das wichtigste Kapital der bayerischen Staatspartei verspielt: die Kompetenz für das Soziale.

Eigentlich ist vielen in der CSU die Entwicklung der Union zu einer in jeder Hinsicht liberalen Groß-FDP suspekt. Stoiber sollte da dagegenhalten, finden sie. Tut er aber nicht. Stattdessen zaudert er, was er nach der Wahl zu tun gedenkt. Oder er beschimpft die Ossis, um sich anschließend umso mehr vor Ossi Merkel und ihrer Politik zu verbeugen. All das führt dazu, dass Stoiber in Berlin kaum noch ernst genommen wird. Vornherum schön tun, hintenrum stänkern oder abwarten – Stoiber wirkt in jeder Hinsicht feige. So verliert er auch in der CSU sein wichtigstes Kapital: den Respekt vor seinem Machtinstinkt. LUKAS WALLRAFF