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Die WahrheitAuf dem alten Auge blind

Kolumne
von Fabian Lichter

Ich heirate eine Pflegefamilie: Thekla Carola Wied hat eine lange fällige Diskussion über Altersdiskriminierung angestoßen. Natürlich in der „Bild“.

W o warst du, als es begann? Was hast du getan, als sie angefangen haben, Menschen in jung und alt zu klassifizieren? Diese Fragen möchte ich mir nicht eines Tages stellen müssen, deshalb beantworte ich sie besser gleich.

Ich lief gemütlich wie jeden Vormittag, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, durch mein Viertel. Schauen, ob noch alles mit rechten Dingen zugeht. Ob die Enten im Stadtpark gefüttert worden sind, kümmert sich ja auch keiner drum, heutzutage. Alles muss man selbst übernehmen. Da haben sie Geld für Roboter, die unsereins dann in den Heimen pflegen. Keine Menschlichkeit, nur „piep, piep“ und „ratter, ratter“. Das ist der Dank für einen nicht mal vollkommen verwüsteten Planeten, den wir der Jugend hinterlassen.

Und dann fiel mein Blick auf die Schlagzeile der Bild-Zeitung: „Altersrassismus“, schrie dort Thekla Carola Wied auf. „In meinem Alter soll ich immer die Leiche spielen“, klagte die 74-Jährige. Sie! Die Schauspielkönigin! Ich sag nur „Rivalen der Rennbahn“, oder „Ich heirate eine Familie“. Das war noch Fernsehen. Dafür hat man heute kein Auge mehr, oder ein zu getrübtes.

Teledemenz: Fernsehen, das vergisst

Aber was ich sagen will: Endlich macht jemand den Mund auf, solange es noch geht. Über Altersrassismus spricht ja sonst keiner. Außer vielleicht Tony Marshall: „Das Fernsehen vergisst unsere Rentner“, hat der große Sänger neulich gesagt, und mir sind fast die Tränen gekommen, weil ich wieder meine Augensalbe vergessen hatte. Ärgerlich. Aber auch er hat recht. Überhaupt haben die Menschen in der Bild eigentlich immer recht.

Das Fernsehprogramm ist nichts für uns Rentner. „Soko Wismar“ oder „Notruf Hafenkante“, auf meinem ZDF. Wer kann sich solche Räuberpistolen unbeschadet anschauen? Ich habe drei Stents und einen Schrittmacher, ich habe mir ein bisschen Harmonie und Heimatgefühl verdient, wenn ich nach getaner Arbeit vom Entenfüttern nach Hause komme und den Fernseher anschalte.

„Soko Wismar“, wie das schon klingt. „Soko Weimar“: Das wäre was. Ein bisschen Geschichte, ich hab das ja selber noch erlebt, die Weimarer Republik, die Nationalversammlung, die Krisenjahre, den Hitler. Mein Arzt glaubt mir das zwar nicht. Aber ich träume noch davon. Es sind schöne Träume.

Was? Egal

Das war alles ganz anders, als es jetzt im Fernseher drin gezeigt wird. Aber ich möchte hier nicht zu viel sagen. Als alter Mensch muss man heute zweimal überlegen, was man sagt und was nicht. Ich muss auch manchmal zweimal überlegen, was ich gehört habe, aber das ist wieder etwas anderes. Was? Egal.

Wo war ich? Was wollt ich sagen? Ja. Der Hitler hätte das moderne ZDF bestimmt auch nicht gemocht. Da würde ich einen Eid drauf schwören. Einen weiteren, mein ich. Es ist schon wieder so schwül heute, mein Gott. Ich hör jetzt besser auf und verbleibe mit dem altdeutschen Gruß. Ihr Alois H., Rentner.

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