Bundeswehr hält an Streumunition fest

Das deutsche Verteidigungsministerium glaubt daran, dass sich sichere Streumunition entwickeln lässt. Dabei haben selbst die Nato-Partner USA und Großbritannien ein entsprechendes Rüstungsprojekt wegen technischer Probleme fallen gelassen

Waffenhersteller: Herstellung „sicherer“ Munition ist schwierig Kritiker: Keine Investitionen mehr in völkerrechtswidrige Waffensysteme

VON ANNETTE JENSEN

Anders als Großbritannien und die USA glaubt Deutschland an die Entwicklung so genannter sicherer Streumunition. „Nach heutigem Kenntnisstand kann die Rate gefährlicher Blindgänger auf unter ein Prozent gesenkt werden“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme des Verteidigungsministeriums gegenüber der taz. Deutschland darf Streumunition nur dann benutzen, wenn sie mit mindestens 99-prozentiger Sicherheit sofort nach dem Abschuss explodiert. Blindgänger der umstrittenen Munition wirken wie Minen und können Passanten noch nach Monaten töten oder verletzen.

Deutschland steht mit seiner Position weitgehend allein. Das britische Verteidigungsministerium hat die Hoffnung auf „sichere“ Streumunition zunächst aufgegeben. Mitte August hatten die Engländer beim US-Rüstungskonzern Lockeed Martin das satellitengesteuerte Raketenwerfersystem GMLRS in einer einfachen Ausführung geordert, meldete die Militärfachzeitschrift Defense News. Es kann nur Einzelsprengköpfe verschießen.

Ursprünglich sollte das gemeinsam von Deutschland, den USA, Frankreich, Großbritannien und Italien in Auftrag gegebene Rüstungsprojekt auch mit Streumunition beladen werden können. Die Ingenieure hatten den Auftrag, die Geschosse so zu entwickeln, dass sie entweder sofort auf dem Gefechtsfeld explodieren oder sich nach 15 Sekunden selbst in die Luft sprengen. Es sei der Industrie nicht gelungen, einen zuverlässigen Zünder für die Munition herzustellen, begründete ein Sprecher der britischen Rüstungsbeschaffungsbehörde den Verzicht auf die Technik.

Das Pentagon in Washington hat sogar schon wesentlich früher einen Rückzieher gemacht. Eigentlich kein Wunder: Im Irak tötete oder verletzte liegen gebliebene Streumunition auch zahlreiche GIs. Selbst US-Militärs gehen von einer Blindgängerquote von über 10 Prozent aus; Hilfsorganisationen vermuten eine noch viel höhere Quote. Waffenhersteller Lockeed Martin räumte laut Defense News ebenfalls ein, dass die Entwicklung „sicherer“ Streumunition schwieriger sei als erwartet.

Das deutsche Verteidigungsministerium hält dagegen daran fest, dass Streumunition sicher konstruiert werden kann – und damit der UN-Vereinbarung entspricht, die Deutschland als eines der ersten Länder unterschrieben hat. Solange die Technik sich nicht weiterentwickelt, muss die Bundeswehr aber auf den Einsatz der in ihren Depots gelagerten alten Streumunition verzichten: „Solche Streumunition, deren Verlässlichkeit absehbar nicht auf die von der Bundesregierung angestrebten Werte erhöht werden kann, […] ist für den Einsatz zunächst nicht mehr vorgesehen“, heißt es offiziell. Paradoxerweise schreibt das Verteidigungsministerium aber zugleich: „Die Notwendigkeit für die Teilnahme der Bundeswehr an multinationalen Operationen […] kann das gesamte Einsatzspektrum umfassen. […] Von daher kann die Bundeswehr zurzeit auf die Möglichkeit eines Einsatzes von Streumunition nicht verzichten.“

Klar ist, dass die Bundesregierung die schätzungsweise 20 Millionen M77-Geschosse für den vorhandenen Raketenwerfer Mars ohne Selbstzerstörungsmechanismus ausmustern will, die eine besonders hohe Blindgängerquote haben. Sie sollen entweder vernichtet, nachgerüstet oder verwertet werden, heißt es in der Erklärung. Thomas Küchenmeister von der Nichtregierungsorganisation Landmine.de sieht Anzeichen dafür, dass die Bestände nach Osteuropa verscherbelt werden könnten. Er fordert nicht nur die Unterbindung des Exports, sondern auch eine Absage an jede Neuinvestition: „Statt in völkerrechtswidrige und fehlerhafte Waffensysteme zu investieren, sollten mehr Mittel für Opferhilfe und Räumprojekte bereitgestellt werden“, so Küchenmeister.

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