Wir waren so was von dabei

OSTPUNK Der Autor Frank Willmann lässt im Band „Leck mich am Leben“ den Punk in der DDR wieder aufleben

Fast alle Autoren verfassten ihre Erinnerungen erst weit nach dem Fall der Mauer

VON ANDREAS HARTMANN

Nach diversen Chroniken, einer Ausstellung und einem Film über Punk in der DDR geht es nun weiter mit dem Thema, das für den Wessi immer noch wirkt wie eine Geschichte von einem anderen Stern und das auch für den Ossi, der selbst kein Punk war, noch Neues über das Lebensgefühl jugendlicher Dissidenten zwischen Magdeburg und Ostberlin in den Achtzigern liefert. Allerdings scheinen nach Standardwerken zum DDR-Punk wie „Wir wollen immer artig sein“ und dem Katalog zur „ostPUNK! – too much future“-Ausstellung die soziokulturullen Hintergründe von Punk im Arbeiter-und-Bauern-Staat in theoretischer Form erst mal ausreichend aufgearbeitet zu sein.

Punks in der DDR, so haben wir hier erfahren, wurden nicht nur von den anständigen Bürgern maximal schief angesehen wie ihre Pendants im Westen, sondern mussten mit drastischen Maßnahmen bis zu Freiheitsentzug oder Ausweisung rechnen. Punks in der DDR konnten nicht schnell möglichst viele Akkorde auf der Gitarre wieder verlernen, um eine anständige Punkband zu gründen und zu versuchen, Millionen Platten zu verkaufen wie die Sex Pistols, sondern das staatlich gelenkte Label Amiga veröffentlichte ihre Musik erst gar nicht. Punks in der DDR hatten keine Punkschuppen wie das CBGB’s in New York oder das SO36 in Westberlin, sondern durften froh sein, dass ausgerechnet die Kirchen ihnen gelegentlich Auftritte gestatteten.

Diese Grundlagen über die kuriose Entfaltung einer vom Kapitalismus ausgekotzten Subkultur im sogenannten real existierenden Sozialismus sollte man schon draufhaben, um seine Freude an der von Frank Willmann herausgegeben Anthologie „Leck mich am Leben – Punk im Osten“ zu haben. Denn dieser Sammelband erklärt nicht mehr viel, die Texte versuchen eher ein als bekannt vorausgesetztes Lebensgefühl einer untergegangenen Epoche lyrisch-poetisch aufzuwärmen. Gut, erklärt wird schon auch, doch eigentlich nur im letzten der 40 versammelten Essays. Man muss das Buch also von hinten lesen, um mit seiner Einführung zu beginnen. Warum das so ist, dafür scheint es nur eine Erklärung zu geben: damit man sich bei seinem unkonventionellen Leseverhalten ein wenig punkig fühlen kann.

Überhaupt sind die einzelnen Texte ohne jede Ordnung aneinandergeklebt worden. Da kommt ein atemloser „Ich war so was von dabei“-Text über das Saufen, Pogen und Punkrocken im Honnecker-Land nach dem anderen, und plötzlich geht es dann recht nüchtern um „Modesubkultur im Osten“. Und gerade wenn man anfängt, sich langsam für „Modesubkultur im Osten“ zu interessieren, folgt schon wieder die nächste Punk-Erzählung über die Abenteuer mit der Stasi, die Musik von Bands wie Schleim-Keim, Planlos oder Wutanfall und Hoffnungslosigkeit, gepaart mit dem euphorischen Gefühl, Teil einer dissidenten Bewegung zu sein. Andererseits wissen wir seit dem Buch „Lipstick Traces“ des Poptheoretikers Greil Marcus, wie viel Punk mit Dadaismus zu tun hat, und so macht der fehlende Sinn bei der Abfolge der einzelnen Texte irgendwie doch wieder Sinn.

Frank Willmann, der mehrere Bücher über den Fußball in der DDR veröffentlicht hat, sagt von sich selbst im Gespräch, Punk sei für ihn „ein ganz wichtiger Aspekt im Leben“ gewesen. Und für seine Anthologie hat er sich Autoren zusammengesucht, von denen er wusste, dass das bei ihnen genauso war. Sämtliche Autoren waren entweder selber Mitglieder in ostdeutschen Punkbands wie Ronald Galenza oder Shanghai Drenger, waren als Künstler oder Ausstellungsmacher von Punk beeinflusst oder als sogenannte Poeten, wie der Dichterfürst der Prenzlauer-Berg-Szene, Bert Papenfuß.

Fast alle Autoren verfassten ihre Erinnerungen erst weit nach dem Fall der Mauer für diese Anthologie, was etwas irritierend wirkt: In den Texten wimmelt es von Ausdrücken wie „Hackfresse“ und veralteten jugendsprachlichen Formulierungen wie „Da fallen dir doch die Ohren ab“. Gealterte Expunks schreiben, als seien sie nochmals 16 und hätten sich gerade einer Bierdusche unterzogen.

Willmann erklärt, er wollte kein „Ossi-Jammerbuch“ zusammenstellen, sondern eines, das „rotzig und frech“ sei. Das erklärt wohl den teilweise überstrapazierten Punkjargon. „Wenn du als Punk in der DDR herumgelaufen bist, warst du einfach ein Staatsfeind, das ist schlichtweg Fakt. Aber es gab eben auch geile Geschichten. Einerseits war da Härte, aber diese Zeit hatte auch etwas Schönes“, so Willmann. Diese verrückte Mischung aus Härte und Schönheit kann man vielleicht nur in einer „rotzigen und frechen“ Sprache plastisch darstellen.

■ Frank Willmann (Hg.): „Leck mich am Leben – Punk im Osten“ (Eulenspiegel Verlag); Buchpräsentation am 16. 10., 20 Uhr, Kaffee Burger