kritik der woche
: Die Kunst, sich zu verbiegen

Der flexible Mensch in der modernen Arbeitswelt hat es schwer: Will er seinen Job behalten, muss er eine gute Vorstellung abgeben, egal, ob er Briefe eintütet oder Muskeltrainer verkauft. Denn eine gute Performance heißt, viel zu verkaufen.

Ein Problem für freischaffende Künstler – Tänzer zum Beispiel. Denn zwischen H&M-Patentfaltung und dem „arschgeilen“ Tendu auf der Bühne gibt’s einen Unterschied: Der Verkäufer performt seinen Job. Der Tänzer jedoch „performt Performing“, so der Titel einer Produktion des Festivals „TANZtheater INTERNATIONAL“ in Hannover und Braunschweig.

Was verkauft der Tänzer also? Ästhetik? Bildung? Unterhaltung? Was passiert, wenn man den Kunstbetrieb wirtschaftlichen Kriterien unterwirft, analysiert der Berliner Choreograf und Tänzer Jochen Roller mit Tiefsinn und Selbstironie und liefert damit einen bissigen Kommentar zur Kultursparpolitik. Zunächst macht er dafür eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf, wie viel Zeit er auf „richtige“ Arbeit verwenden und wie viel Geld dabei rumkommen muss, damit er ein eigenes Stück aufführen kann – möglichst ohne Belastung des Steuerzahlers. Rollers Bewegungen sind daher extrem sparsam: Schließlich kostet eine Minute 60 Euro.

Doch Kunst ohne Publikum ist sinnlos. verdeutlicht der zweite Teil „Art Gigolo“, bei dem Roller seine Dienste mit denen eines käuflichen Liebedieners vergleicht. Vorteil: Erfolgsoptimierung durch leistungsbezogene Bezahlung. Nachteil: Aus Zeitmangel leidet die Kreativität, und der „private dancer“ muss sich bei ebay eine Choreografie ersteigern, die er nach der Aufführung Gewinn bringend wieder verkauft. Eine Umdeutung scheint da die Lösung: Es gibt keine Kosten, sondern nur Investitionen, und Warhols 15 Minuten Ruhm werden zu 15 Minuten Wettkampfzeit, in denen jeder Künstler wie der Gigolo Begehren erzeugen muss. Doch während Roller nackt und ausgelaugt zu dem Hit „My Love Don’t Cost a Thing“ schwingt, wird klar: Nur die Liebe eines Gigolos, der sich verliebt, ist umsonst. Er selbst aber ist dann arbeitsunfähig: Es bleibt nur das Tanzen in der geistigen Vorstellung. Zum Glück verzichten aber auch die übrigen acht Performances nicht auf dynamischen Tanz, obwohl dem Festival Ende vergangenen Jahres noch das Aus drohte – wegen drastischer Kürzungen.

Kerstin Fritzsche

Infos und Karten: ☎ (05 11) 16 84 12 22 oder www.tanztheater-international.de. Bis 10. September