Hurra-Fußball trotz Heimklatsche

Im letzten Spiel verliert Hertha mit 2:6 gegen Leipzig. Aber die Fans freuten sich über etwas Action

Von Alina Schwermer

Fußball ist, wenn man auch bei 2:6 noch Spaß hat. Weil Herthas Ergebnis wieder nicht viel Anlass zur Freude gab, besang die Ostkurve nach dem Spiel selbstvergessen den Abstieg des HSV. Es gibt ja auch als Herthaner immer jemanden, der noch schlechter dran ist. Für die Berliner selbst ging es im letzten Spiel gegen Leipzig nur noch um die goldene Ananas; für stürmische Leipziger noch um die Euro League, was auch maßgeblich zur derben Heimklatsche beitrug. Das Olympiastadion hatte trotzdem Spaß. Mit 60.000 Zuschauern fast volle Hütte, launige Stimmung, Sonnenschein, eine offensivfreudige Hertha, und als über dem Rasen zwei blau-weiße Ballons schwebten, konnte man so bei sich denken, wie schön ein Fußballspiel doch im Olympiastadion sein kann.

So viel Unterhaltung wie beim 2:6 jedenfalls hat es in der heimischen Betonschüssel lange nicht gegeben. Weil das Ergebnis für Hertha ziemlich egal war, ließ Dárdai die Vorsicht seines Adenauer-Vernunft-Defensivspiels fahren und produzierte fußballerisches Wildwest im Olympiastadion. Fast alle zehn Minuten ein Treffer, allein in den ersten sieben Minuten drei: Führung Leipzig, Ausgleich Hertha, Führung Leipzig. Für die an Tristesse gewöhnten Berliner Anhänger ein regelrechter Schock an Action. Hertha spielte trotz deutlicher Unterlegenheit mutig nach vorn, und der Zuschauer stellte verzückt fest, dass ein Hertha-Spiel noch nicht gesetzlich ein fades 0:0 ist.

Der Einzige, dem das offensichtlich keinen Spaß machte, war Trainer Pál Dárdai. Er habe „wie gewünscht“ offensiv spielen lassen, grummelte er hinterher. Und fügte süffisant hinzu: „Man sieht: Wenn man Hertha BSC nicht ganz systematisch defensiv spielen lässt, kassiert man viele Tore.“ Gewöhnen sollten sich die Berliner Fans an den Hurra-Fußball also lieber nicht. Die Konsequenzen waren überschaubar; trotz der Niederlage schließt Hertha auf dem zehnten Platz ab und damit so irgendwie im Soll der Top Ten. „Wir haben dieses Jahr mit der Stabilität ein gutes Fundament gelegt“, resümierte Dárdai. „Wir haben viele junge Spieler integriert, dafür war es ein gutes Jahr. Nächste Saison müssen wir ein anderes Ziel nennen.“

Protest gegen Herthas Marketing

Aber wo soll sie hin, die Hertha? Mit Mitchell Weiser verlässt einer der Leistungsträger den Verein; die Offensivstars Ibišević und Kalou werden nächste Saison 34 beziehungsweise 33 Jahre alt sein. Ein Platz im Tabellenmittelfeld mit gelegentlich einer glücklichen Quali für die Euro League scheint eher die realistische Zukunft. Warum auch nicht? Stabilität ist ja auch eine Tugend.

Auch beim Abschlussspiel kämpfte die Ostkurve mit Protestplakaten weiter gegen Herthas Marketingstrategie und Markenboss Paul Keuter. „In Leipzig plakatieren/ in Berlin Fans verlieren“, hieß es. Und, vorsichtig konsumkritisch: „Horrende Kosten/ Zuschauerschwund/ keine Identifikation/ seht es doch endlich ein/ mit eurem Marketing schadet ihr unserem Verein.“

Bei der Vereinsführung scheint das noch nicht angekommen zu sein: Vor dem Spiel vermarktete man auf dem Rasen, warum auch immer, die Stars des neuen Kinofilms „Deadpool 2“. Was zumindest ganz lustig war, weil niemand so richtig Ryan Reynolds aussprechen konnte. Zum Schluss gab es noch ein einprägendes Bild. Als die Spieler nach Abpfiff zur jährlichen Danke-Runde in die Ostkurve kamen, hing zwischen ihnen und den Fans nur ein Plakat: „Keuter raus!“ Herthas Kicker ignorierten den Schriftzug und ließen sich feiern. Auch das ist Hertha: ein Ort, wo eine 2:6-Klatsche für ein bisschen Frieden sorgen kann.