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berliner szenenHobbys hatte er keine

Er lag auf der Pritsche und dachte über die Biografie eines Behandlungszimmers nach. In einer mädchenhaften Wendung erschien die neue Physiotherapeutin und strahlte ihn an. Sie war eine junge Frau mit stechend blauen Augen, die ihn maß und prüfte und nebenher fragte, ob er Hobbys habe. Hobbys? Nein, lachte er, Hobbys hatte er keine. Was für Hobbys sollte man denn haben? Wäre „Ich spiele gerne Tischtennis“ schon eine ausreichende Antwort?

Er sagte, Beruf und Privatleben zu trennen sei bei ihm nicht so einfach, er arbeite bei einer Zeitung. Sie antwortete, oh, dass sie höchstens mal die Jolielese. Oder InStyle. Sie kam sehr nah, sah aber knapp an ihm vorbei, als sie ihm den Arm halb verdrehte. Als sie erzählte, dass ihr Vater Berufssoldat war, verschwand sein Begehren auf der Stelle. Es kam erst später wieder, lange nachdem sie „Aber sonst ist er ein Sensibelchen“ hinzugefügt hatte.

Er erinnerte sich an das Buch von Alberto Moravia, sein Lieblingsbuch, als er ungefähr in ihrem Alter gewesen war, „Die Verachtung“. Und wie ihn die Lektüre erschrocken hatte, die Nacherzählung eines unangekündigten Verschwindens der Liebe. Es gab auch einen Handke-Text, der das beschrieb: „Ich setzte sie an ihrem Haus ab und beschloss, sie nie wieder zu sehen.“ Oder so. Ein drastischer Abschied jedenfalls. Sie berichtete von den Russen am Ku’damm; also den russischen Patienten, die sie vorher hatte, als sie in einer anderen Praxis beschäftigt war. Bärbeißige Männer, stumme Frauen, allesamt humorlos. Na, mag auch an der anderen Sprache gelegen haben, sagte sie.

Die Behandlung war zu Ende. Es war die letzte gewesen, die sie beide teilten. Der Physiotherapeutin wurde gekündigt, weil sie angeblich zu respektlos gegenüber den Kolleginnen war. Oder auch zu lustig. René Hamann

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