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Die Kunst der stillen Rebellion

Die US-amerikanische Indierock-Band Yo La Tengo kultiviert auf ihrem neuen Album „There’s a Riot Going On“ einen Zustand der posttraumatischen Ruhe als Antwort auf Trump und Co. Ihre aktuelle Europatour ist auch ohne Hype fast komplett ausverkauft

Von Stephanie Grimm

Im Jahr 2002 brachte das satirische Nachrichtenmagazin The Onion die Meldung: „37 Record-Store Clerks Feared Dead In Yo La Tengo Concert Disaster“. Der Witz: Lediglich die Sorte Nerd, die ihr Leben mit dem Kategorisieren von Tonträgern verbringe, sei überhaupt auf einem Yo-La-Tengo-Konzert anzutreffen. Deswegen seien alle Opfer solcher von Natur aus schwachbrüstigen Menschen Plattenhändler. Seit dieser Meldung, die immerhin schon 16 Jahre alt ist, hat sich das Image der Band aus der Kleinstadt Hoboken in New Jersey, direkt gegenüber von Manhattan, wenig geändert: Yo La Tengo gelten als ewige Kritikerlieblinge. Ihre Musik steckt voller Herzblut und Understatement. Eine Band, die geschätzt, ja geliebt wird, jenseits der Hypewellen des Popbetriebs.

Das aktuelle Album „There’s a Riot Goin’On“ führt jenes Werk dort weiter, wo es mit den vorherigen 14 Alben begonnen hat. Es ist selbst im Kontext der unaufgeregten Yo La Tengo eine ganz besonders ruhige Sammlung von Songs. Und doch führt dieses Album noch mal für Herz und Ohren vor, dass die Musik des Trios vor allem freundlich und zugänglich ist. Dass sie mit ihrem ganz eigenen Ansatz viel mehr Menschen glücklich machen als die eingangs erwähnten Nerds. Schade für all jene, die sich vom Etikett der Bescheidwisserband abschrecken lassen und gar nicht versuchen, sich von diesen tiefenentspannten Songs abholen zu lassen.

Dass das neue Album denselben Titel trägt wie das so wütende wie desillusionierte, auf jeden Fall aber bahnbrechende Psychedelic-Soul-Album von Sly and the Family Stone aus dem Jahr 1971, darf man wohl einem diskret subversiven Augenzwinkern zuschreiben. Es ist charakteristisch für den leisen Humor des Trios. Denn wütend oder konfrontativ ist an ihrem Sound diesmal weniger denn je, zumindest vordergründig. Eher begegnen Yo La Tengo dem Wahnsinn da draußen mit ihrer ganz eigenen Art, indem sie sich abwenden von Trump & Co, in einem Kokon leisen Wohlklangs verlieren und die Dinge zugleich durch ein paar Dissonanzen gekonnt in der Schwebe halten.

Genauer betrachtet war das bei dem Referenzalbum aus den frühen 1970er Jahren nicht sehr anders: Das hat sich nämlich weniger am Vietnamkrieg, dem Rassismus und anderen Themen der Zeit abgearbeitet, sondern hat eher den Rückzug angetreten, in dem Fall eben in eine düstere, drogenvernebelte psychedelische Welt.

Yo La Tengo dagegen feiern mit ihrem leicht psychedelischen Ambientpop die Normalität, bei der aber unterschwellig – wie könnte es anders sein in unseren hohldrehenden Zeiten – etwas Unheimliches mitschwingt. Und auch sie erinnern daran, dass es in der Blase nicht allzu gemütlich ist – auch oder gerade, weil Protest heutzutage eine sehr fragmentierte Angelegenheit ist. Kraftvoll leisetreten, dabei warmherzigen Krach machen: Diese Verbindung war schon immer ihre größte Stärke.

Vom Jammern zur Bandgründung

Yo La Tengo erklären in Interviews oft und gerne, dass ihre Musik eigentlich nur Kommunikation innerhalb der Band ist. Sie dächten beim Songschreiben gar nicht daran, dass jemand anders zuhören könnte. Vielleicht fühlt man sich deswegen von ihrer Musik so angenehm wenig zugequatscht – eine Wohltat in einer Zeit, in der man ständig mit Welterklärungsversuchen bombardiert wird. Für eine polternde Meinung würde man von diesem Trio wohl allenfalls ein ironisches Lächeln ernten.

Im Jahr 1980 lernten sich der New Yorker Rockkritiker Ira Kaplan und die Kunststudentin Georgia Hubley kennen. Das war passenderweise im Club Maxwell in Hoboken, in dem sie später, bis zur Schließung 2013, Jahr für Jahr ihre legendären Hanukkah-Shows im Rahmen des jüdischen Lichterfests spielen sollten.

Die Schlagzeugerin und der Gitarrist verliebten sich und fingen an, zusammen Musik zu machen. Im Jahr 1984 wurde eine Band aus ihrer losen Combo, die 1992 mit James McNew einen permanenten Bassisten gefunden hatte. Inzwischen sind 15 Yo-La-Tengo-Alben erschienen, in denen sie alles mögliche, von Free Jazz über Country und Power Pop bis zu Krautrock, zitierten und dabei stets eine eigene Klangwelt bastelten.

Von diesen Alben war keines schlecht, ein paar waren sogar richtig gut: „Fakebook“ von 1990 zum Beispiel, mit dem sie erstmals ihre Liebe zu Coverversionen feierten, unter anderem „Here Comes My Baby“ von Cat Stevens oder „Andalucia“ von John Cale.

Von derartigen Covern hat das Trio unendlich viele im Repertoire, sie scheinen nahezu jedem Genre der Popgeschichte einen eigenen Dreh geben zu können. Oder auch „I Can Hear the Heart Beating as One“ (1997), mit dem sie ein charmantes Pendant zum britischen Shoegaze und eine ganz neue Art von Garage Rock entwarfen: die Ambientvariante. Jenem subtilen Eklektizismus frönten auf dem Album „I’m Not Afraid of You and I Will Beat Your Ass“ ganz besonders.

Wie bei allen guten Bands lässt sich Yo la Tengos Musik am Besten auf einem Konzert erschließen, geht es dort ja naturgemäß etwas dynamischer zu. Nach Eintrittskarten für das Konzert im Heimathafen Neukölln in Berlin allerdings muss man sich schon auf dem Schwarzmarkt umschauen. Immerhin sind es ihre ersten Europa-Auftritte seit 2015. Über die Jahre hat sich diese sympathisch beharrliche Band eben doch sehr viele Fans erspielt – und das auch ganz ohne Hype.

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