Der den Hirsch ruft

Wenn alles gut geht, unterhält er sich mit den Enten. Die kann er zwar nicht fragen, was sie zum Frühstück gegessen haben. Aber er kann merken, ob sie überhaupt schon gespeist haben. Dann würden sie nämlich auf die Schmatz-Geräusche reagieren, die Immo Ortlepp gern auch live am Telefon vormacht. Der Hirsch dagegen wird ärgerlich schimpfen, wenn er sieht, dass da ein Mensch ist und keine Hirschkuh. Und verschwinden.

Aber das passiert Ortlepp selten, denn er beherrscht die Sprache der Waldtiere; gerade erst ist er Deutscher Meister der Hirscherufer geworden. Ortlepp wohnt in Wedemark bei Hannover, kann alte und junge Hirsche nachahmen, und von dem Klischee, dass der Jäger das nur lernt, um die Tiere zu töten, hält er nichts. „Nur in einem von 100 Fällen gehe ich los, um einen Hirsch zu schießen“, sagt der Berufsjäger. „In allen anderen Fällen will ich nah an die Tiere heran und sie beobachten. Dafür muss ich ihre Sprache sprechen.“

Die ist schwer zu imitieren, weil die Luftröhre des Hirschs länger ist als die menschliche. „Ohne Hilfsmittel wie Schneckenhäuser oder Hörner schafft man das nicht.“ Dabei ist es nicht die musikalische oder schauspielerische Darbietung, die Ortlepp fesselt. „Für mich ist das Gebrauchskunst“, sagt er. Und bei den Wettbewerben achtet er nicht auf den Applaus, sondern auf die Hunde. „Wenn sie die Ohren aufstellen, weiß ich, dass ich den natürlichen Laut getroffen habe“, sagt er. „Den erkennen auch Hunde, die nie auf einer Jagd waren.“

Apropos Jagd: Ortlepp betreibt sie nicht nur. Er bringt sie auch anderen bei und hat dabei etwas beobachtet, das schon wieder nach Klischee klingt: „Frauen, die inzwischen die Hälfte meiner Jagdschein-Anwärter ausmachen, jagen – anders als die Männer – nie wegen der Trophäe.“ Und wie ist das bei ihm? Ja, er habe „das eine oder andere Geweih an der Wand“, sagt er. Aber die Trophäe sei für ihn keine Motivation. „Sondern allein das Leben mit der Natur.“  PS