: Irrationale, hysterische Debatte
VON STEFAN ALBERTI
Die Videoüberwachung ist gescheitert. Sie hat ihr zentrales Versprechen nicht eingelöst: Die Aufklärungsquote bei Mord und schwerer Körperverletzung ist nicht gestiegen, sondern gesunken. Dafür hat die Videoüberwachung eine irrationale Sicherheitshysterie befeuert: Sie hat die Fotos geliefert, mit denen die Medien ihre minutiösen Berichte über Gewalttaten bebildern und damit erst so richtig groß rausbringen konnten.
Die Medien befriedigen so die Gier der Leser nach Gruselgeschichten. Sie verzerren jedoch das Bild von den tatsächlichen Gefahren. Das führt zu einer Diskussion, in der Videoüberwachung als entscheidender Sicherheitsgewinn erscheint.
Im vergangenen Jahr starben in Berlin zwölf Personen, die von einer fremden Person ermordet oder erschlagen wurden. Das sind die Fälle, die für das große Aufsehen sorgen. Gleichzeitig starben mehr als doppelt so viele Personen, die den Täter kannten. Hier hilft Videoüberwachung nichts, weil die Morde nicht im öffentlichen Raum geschehen. Und 54 Menschen starben im Straßenverkehr. Es ist hochgradig zynisch, die Diskussion über Sicherheit auf die Fälle zu konzentrieren, in denen ein fremder Täter zuschlägt. Ist das Leben der Frau, die von ihrem Exmann ermordet wird, etwa weniger wert? Ist das Leben des Fußgängers, der von einem Raser überfahren wird, etwa weniger wert?
Wer die Sicherheit in Berlin möglichst stark erhöhen will, muss die schlagenden und mordenden Ehemänner und Familienväter ins Visier nehmen. Und die Raser, Vorfahrtnehmer, Rotlichtignorierer und Betrunkenfahrer. Was es dazu braucht, sind mehr Frauenprojekte und Radarkontrollen. Damit wird die Stadt deutlich sicherer als durch noch mehr Videoüberwachung.
Das Leben ist die Kontrolle wert
Big Brother! Überwachungsstaat! Dauerbeobachtung! Sobald von mehr Videokameras die Rede ist, funktionieren die alten Reflexe bei der Linken noch. Zwar nicht mehr ganz so laut, weil auch die Grünen die Kameras nicht mehr komplett verteufeln, sondern nur noch skeptisch betrachten. Aber unterm Strich bleibt: lieber nicht überwachen – egal was es bringen oder verhindern kann.
Zur Begründung gibt es dann Argumente und Zahlen, wonach es wegen der Videoüberwachung nicht weniger Verbrechen gegeben haben soll. Bloß: Was so eine Statistik nicht erfasst, sind die Überfälle, von denen mögliche Täter wegen der Kameras abgesehen haben.
Vom schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte ist die Rede. Die Frage ist: Spielt sich das persönliche Leben auf dem Alexanderplatz, auf dem S-Bahn-Steig oder im U-Bahn-Tunnel ab? Denn dort und nicht zu Hause stehen die Kameras oder würden sie in größerer Zahl stehen. Ist es so schützenswert, das öffentliche In-der-Nase-Popeln auf dem Bahnsteig oder das Treffen mit der heimlichen Geliebten nicht für 48 Stunden gespeichert zu wissen?
VON SEBASTIAN HEISER
Videoüberwachung kann nur ein Baustein von Sicherheit an öffentlichen Orten sein. Aber auch sie kann Leben retten, indem sie von Verbrechen abschreckt oder für einen schnelleren Rettungseinsatz sorgt. Sie kann zu besserer Aufklärung führen und zur Bestrafung derjenigen, für die das Leben der anderen leider nichts wert ist.
Darauf verzichten, nur um einem Nasepopler Gelächter in der Überwachungszentrale zu ersparen? Einem Fremdgeher die Enthüllung, falls Videobilder in falsche Hände geraten? Nein, um des Lebens willen nicht, das gerettet werden könnte.