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Fehlte nur das Furzkissen

Stephan Kimmig reduziert Elfriede Jelineks wortgewittriges Anti-Trump-Stück „Am Königsweg“ am Deutschen Theater auf Kindergeburtstagshumor

Einfühlungsspielerin Linn Reusse (l.) und Furiostönerin Anja SchneiderFoto: Arno Declair

Von Barbara Behrendt

In der weißen, cleanen Küchenzeile, deren Schubladen bis zur Decke ragen, hat das Mann-Frau-Wesen, das sich als „Gran Retardo“, also: „Großer Schwachmat“, vorstellt, Würstchen in der Pfanne angebraten, jetzt sind die Wurst-Fingerchen im Mixer gelandet. Den Fleischbrei füllt Retardo in eine Tortenspritze, zielt gangstermäßig auf die Blondinen-Tussi neben ihm – und Feuer! Das Meiste landet auf dem Boden, und: huch – ausgerutscht! Mitsamt den Blondinen, die sich in der braunen Soße wälzen …

Vorher hatte Holger Stockhaus in der Schwachmaten-Rolle einen grandiosen Witz erzählt: „Herr Ober, da schwimmt eine Fliege in meiner Suppe!“ – „Nicht so laut, sonst wollen die anderen Gäste auch eine!“ Und später dürfen die drei Männer im Team noch mit Sombrero und Poncho als kleine Mexikaner am Helium-Ballon saugen und mit fisteliger Comic-Stimme vor sich hin schwadronieren. Das ist das Humorniveau an diesem Abend – fehlte nur das Furzkissen.

Elfriede Jelinek hat in ihrer uferlosen, genialischen Schnellschreiber-Manier schon oft den Dramentext zum Tagesgeschehen geliefert: Ob Fukushima, NSU, Flüchtlinge oder Finanzkrise – die österreichische Nobelpreisträgerin produzierte das Stück der Stunde. Keine Rollenzuschreibungen, ein Dschungel aus Themen, Gedankenfetzen, Kalauern, durch den sich ein Regisseur den Weg schlagen muss. Jetzt also das Trump-Stück „Am Königsweg“, im Oktober in Hamburg uraufgeführt (in Kürze auch beim Theatertreffen zu sehen), derzeit an mehreren Häusern auf dem Spielplan.

Schon an jenem Tag im November 2016, als Trumps Wahlsieg die Welt kurzzeitig schockgefror, feuerte Jelinek aufs Papier. Umso erstaunlicher, dass ihr monströses Wortgewitter sich nicht im Trump-Bashing erschöpft. Jelinek schreibt sich selbst als Autorinnenstimme ein und mäandert – desorientiert und an der Welt verzweifelnd – zwischen Breaking News, Melania-Gossip, Neoliberalismuskritik und Befremden über den Rechtspopulismus. Immer assoziativ ausschweifend, nie auf den Punkt kommend – welchen auch? Ihre Vergleichsgrößen sind monumental: „König“ ist der verblendete Ödipus wie auch der opferbereite Abraham – eine Abrechnung mit Jahrtausenden autokratischer Herrschaft. Die Aussichten sind finster: Hier sind nicht nur die Seher blind, hier ist es die ganze Welt. Zu der gehört auch Miss Piggy aus der Muppet-Show, die sich blutig die Augen aussticht.

Aufs Wohnzimmer verkleinert, werden Jelineks Anliegen schlicht banaler

Es gibt nicht viele Regisseurinnen und Regisseure, die aus solchen unsortierten, aber rhythmisierten Wortschwällen ein stimmiges Bühnenwerk destillieren können. Stephan Kimmig, das weiß man jetzt, gehört nicht dazu. Seine Stammbühnenbildnerin Katja Haß verlegt Jelineks apokalyptisches Szenario in eine Küchenzeile, in der nicht nur Würstchen püriert, sondern auch Eier geschlagen und Gurken zerschnippelt werden – man hat die allumfassende Kastration bald kapiert. Doch durch die Verkleinerung auf Wohnzimmergröße werden Jelineks fundamentale Anliegen nicht – wie es etwa Jan-Philipp Gloger mit „Schatten“ (Autorentheatertage 2016) versuchte – konkreter, greifbarer, figürlicher, sondern schlicht banaler.

Überhaupt bekommt man den Eindruck, als wolle der 59-jährige Kimmig auf Teufel komm raus die Mätzchen einer gerade angesagten jungen Regiegeneration kopieren – dabei sind doch die zynische Coolness und der Kindergeburtstagshumor eines Christopher Rüping oder Martin Laberenz überhaupt nicht sein Ding. Beinahe tragisch, wie ein ernsthafter Menschenerkunder wie Kimmig, dem zuletzt am Deutschen Theater eine hochkonzentrierte „Phädra“ gelungen ist, hier auf pures Allotria und alberne Dekonstruktion abfährt. Starke Einfühlungsspieler wie Linn Reusse und Marcel Kohler werden dabei – nicht nur wegen ihrer Dämlingsmasken – unkenntlich. Allein Anja Schneider gewinnt ihrer Figur mitunter einen furiosen Ton ab.

Was bleibt? Ein oberflächliches Plappern, Poltern und Pauken, das eine Trump-Welt auf billigste Weise simulieren will. Von Beklemmung, Verunsicherung, Weltverstörung keine Spur.

Weitere Termine: 30. 4., 7. 5., 30. 5., 7. 6., 19.30 Uhr

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