heute in hamburg
: „Nicht jeder Fälscher hat Böses im Sinn“

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Michael Bockisch, 71, Chemiker, sitzt im Beirat der School of Food Science der Uni Hamburg.

Interview Petra Schellen

taz: Herr Bockisch, werden die Lebensmittelfälschungen mehr?

Michael Bockisch: Nein, das hat stark abgenommen. Wir empfinden es nur anders, weil wir aufgrund der transparenteren Lieferströme heute viel mehr entdecken.

Was ist eine Lebensmittelfälschung überhaupt?

Es gibt drei Kategorien: bei der Täuschung wird etwas vorgespiegelt, das nicht da ist. Beim Betrug hat der Fälscher einen wirtschaftlichen Vorteil. Die dritte Kategorie wäre das Verbrechen, bei dem Menschen zu Schaden kommen.

Ist Gier das Hauptmotiv?

Oft. Aber ohne den geizigen Verbraucher würde es nicht funktionieren. Es gibt aber auch Fälscher, die nichts Böses im Sinn haben. Nehmen Sie die Pferdefleischskandale. Da bestellen Sie bei einem kasachischen Lieferanten 100 Tonnen Rindfleisch, und er hat nur 99. Er will ein zuverlässiger Lieferant sein und gibt eine Tonne Pferdefleisch dazu.

Billigfleisch.

Für uns! In kasachischen Restaurants ist Pferdefleisch das teuerste von allen. Subjektiv tut der Lieferant nichts Böses, sondern hat sogar Einbußen, wenn er Pferdefleisch gibt. Das ist trotzdem nicht richtig. Aber nur wer die wahren Gründe kennt, kann Fälschungen verhindern.

Was tun die Unternehmen?

Sie überprüfen vor Ort alles bis ins Detail. Aber da prüft man ja nur, was gewesen ist und sucht das Risiko zu vermindern. Man sollte aber die Ursache beheben.

Ein Beispiel?

Deutschland kauft in der Türkei gemahlene Haselnüsse. Vor zwei Jahren gab es eine Missernte. Also wurden zum Beispiel Erdnüsse drunter gemischt. Da heißt es sofort: Aha, die Gier. Der wirkliche Grund war der Wille, als guter Lieferant weiterleben zu können. Denn es wurden auch die teuren Cashewnüsse druntergemischt. Dieses Risiko können Sie bannen, indem Sie ganze Haselnüsse kaufen und hier mahlen lassen.

Das ist teurer.

Wenn Sie die Kosten addieren, die Sie haben, um das Risiko zu managen – einen Prüfer in die Türkei senden, das Mehl zu einer Analysefirma schicken –, kostet das nicht mehr, als die Nüsse hier zu mahlen.

Warum tun die Firmen das nicht?

Weil die meisten von Controllern, Finanzleuten geführt werden. Die gucken, wie am meisten Geld herauskommt und übersehen die indirekten Kosten.

Vortrag „Lebens­mittel­fälschung“:18 Uhr, Fachbereich Chemie, Hörsaal D