Nur ohne BH und Brille in die Arrestzelle

FRANKREICH Ein Bericht spricht von unwürdigen Haftbedingungen in Polizeigewahrsam

PARIS taz | Wer in Frankreich in Polizeigewahrsam gerät, muss am Eingang zur Zelle alles abgeben, was einen Selbstmord ermöglichen könnte: Gürtel, Schnürsenkel, Krawatte, aber auch Brille und Büstenhalter. So sehen es die internen Regeln der französischen Polizei vor. „Das ist ein Angriff gegen die Würde“, stellt der „Kontrolleur über die Orte des Freiheitsentzugs“ fest. Menschen in Polizeigewahrsam haben nach Ansicht von Jean-Marie Delarue ein Anrecht auf Brille und BHs sowie auf Waschmöglichkeiten.

Die Empfehlungen von Delarue sind am Donnerstag dieser Woche im amtlichen Mitteilungsblatt Journal Officiel erschienen. Darin erklärt der für 5.800 Orte des Freiheitsentzugs in Frankreich zuständige Kontrolleur – dazu gehören Gefängnisse, Abschiebezentren, geschlossene psychiatrische Anstalten und Polizeizellen –, dass der systematische Entzug von Brillen und BHs, wie ihn die französische Polizei praktiziert, nicht zulässig sei. Zugleich moniert Delarue weitere Missstände: Oft fehle im Polizeigewahrsam die nötige Vertraulichkeit bei Gesprächen der Inhaftierten mit Ärzten oder Ärztinnen und AnwältInnen. Und die Inhaftierten hätten in den Zellen nicht einmal eine minimale hygienische Ausstattung. Delarue: „Kann man sich angemessen gegenüber einem Richter verteidigen, wenn man 24 Stunden in einer dreckigen Zelle ohne Waschbecken verbracht hat?“

Die Empfehlungen sind das Ergebnis einer Kontrolle in einem Polizeikommissariat in der ostfranzösischen Stadt Besançon. Die dortigen Ausnüchterungs- und sonstigen Zellen entpuppten sich als „baufällig“ und bar jeder hygienischen Einrichtung. Es ist nicht das erste Mal, dass der Kontrolleur schwere hygienische Mängel in Polizeizellen sowie eine unangemessene Behandlung der Inhaftierten bemängelt: Im vergangenen Juni stellte der Kontrolleur bei einem Besuch im Polizeikommissariat von Boulogne-Billancourt fest, dass es im Inneren der Zellen nach Exkrementen stinke, die aus den Stehklos überliefen. Es gebe weder Wasch- noch Rasiergelegenheiten. Schon damals merkte der Kontrolleur außerdem an, der systematische Entzug von Brillen und BHs sei nicht gerechtfertigt. Die Polizei hielt ihm entgegen, es gehe um die Sicherheit „der Polizisten und der Inhaftierten“. Unter anderem habe eine Frau in der Polizeihaft versucht, sich mit ihrem BH das Leben zu nehmen.

Ein Polizeigewahrsam in Frankreich kann zwischen 24 und 48 Stunden dauern. Danach muss die inhaftierte Person einem Richter vorgeführt werden. In Polizeigewahrsam können im Prinzip alle Verdächtigen ab dem Alter von 13 Jahren gelangen. Die Zahl der betroffenen Personen ist explosionsartig gestiegen: Im Jahr 2001 kamen 336.718 Menschen in Frankreich in Polizeigewahrsam. 2008 waren es 577.816.

DOROTHEA HAHN