Freiheit für chinesische Hemden

AUS PEKING GEORG BLUME

Handelsfreiheit für 88 Millionen chinesische Hemden und Hosen – das ist das stolze Resultat des gestrigen Gipfeltreffens zwischen dem chinesischen Präsidenten und Parteichef Hu Jintao und einer EU-Troika bestehend aus dem derzeitigen EU-Präsidenten Tony Blair, Kommissionschef José Manuel Barroso und dem Generalsekretär des EU-Rats, Javier Solana. Das jährliche Zusammentreffen der Spitzen hatte die Handelsvertreter beider Seiten zu Kompromissen gezwungen. Denn was wäre die gestern von Hu und Blair viel gepriesene strategische Partnerschaft zwischen China und der EU wert gewesen, wenn man sich nicht einmal über Hemden und Hosen einigen kann?

Also soll die Bürde der bunten Stoffware aus China, die sich seit Wochen in europäischen Häfen staut, weil sie die zuletzt im Juni ausgehandelten Textilexportquoten für China in die EU übersteigt, gleichmäßig verteilt werden. EU-Kommissionspräsident Barroso sagte, die Lasten durch den Kompromiss würden „freundschaftlich geteilt“, Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao nannte das Ergebnis „für beide Seiten gerecht“.

Und so sieht es aus: Die Hälfte der freizugebenden Ware dürfen die Chinesen noch auf ihre Quote für dieses Jahr draufschlagen, die andere Hälfte wird auf ihre Quote im kommenden Jahr angerechnet. Allerdings dauerte es diesmal sehr lange, bis sich EU-Handelskommissar Peter Mandelson mit dem chinesischen Handelsminister Bo Xilai geeinigt hatte. Auch verbreitete Bo gestern noch Zweifel, ob der erreichte Abschluss wirklich perfekt sei – womit er wohl auf die notwendige Zustimmung von zwei Dritteln der 25 EU-Mitgliedsstaaten anspielte. Die werden voraussichtlich erst heute ihre Entscheidung treffen.

Vorläufig aber gilt nun die europäische China-Devise, die Tony Blair gestern in Peking ausgab: Das Riesenland sei „keine Bedrohung, sondern eine Chance“, betonte der britische Premier. Vor Wirtschaftsführern wandte sich Blair in Peking gegen die Kritiker der chinesischen Textilschwemme in Europa. Statt die Veränderungen, die China für die Weltökonomie mit sich bringe, zu regeln, wollten die Kritiker sich „dem Wandel widersetzen“.

Vielleicht dachte er schon an das Jahr 2008. Denn nur bis zum 1. 1. 2008 ist der EU laut Aufnahmevertrag Chinas in die Welthandelsorganisation (WTO) noch erlaubt, mit Peking über Textilquoten zu verhandeln. Nach der von vielen südeuropäischen Staaten erzwungenen Hafenblockade der letzten Wochen aber wagte selbst Blair nicht mehr, offen an den WTO-Vertrag zu erinnern. Zumal das schnell wachsende Handelsvolumen zwischen China und der EU noch nie so unausgeglichen war wie heute. Es belief sich im vergangenen Jahr auf die Rekordsumme von 177,3 Milliarden Dollar und machte die EU vor den USA erstmals zum größten Handelspartner Chinas. Doch in der ersten Jahreshälfte legten die chinesischen Exporte in die EU um über 30 Prozent zu, während die europäischen Exporte nach China nur noch um weniger als 3 Prozent wuchsen.

„Chinas Wachstum wird der Welt gegenüber unfreundlicher“, warnt deshalb der China-Analyst der US-Investment-Bank Merrill Lynch, T. J. Bond. Für Bond werde China in Zukunft vor allem weniger importieren – als Folge des abklingenden Investitionsbooms, neu geschaffener Produktionskapazitäten und eines unterbewerteten Yuan. Die Exporte aus China aber würden weiter wachsen. Insofern ist gar nicht abzusehen, wie lange die gestrige Einigung zwischen Peking und Brüssel hält. Vielleicht werden es demnächst Fernseher sein, die sich in Europas Häfen stauen. Der weltweit größte Fernsehproduzent TCL aus Shenzhen kündigte kürzlich an, seinen TV-Output dieses Jahr auf 24,5 Millionen Geräte nahezu zu verdoppeln.