Bernhard Pötter
Wir retten die Welt
: Frühlingsgefühle und andere Irrtümer

Von wegen „stummer Frühling“. In unserem Hinterhof jagt die Amsel ihre Koloraturen die Stimmleiter rauf und runter. Die Meisen tirilieren, was das Zeug hält, die anderen Gefiederten halten dagegen. Vogelfreunde sprechen trotz Artensterbens begeistert vom „Genuss eines ganz besonderen Konzertereignisses“. Alle Romantiker schwärmen von Frieden und Harmonie der Natur.

Dumm nur: Was vor unserem Fenster abgeht, ist eine knallharte Sex-and-Crime-Story. Die Macho-Piepmätze singen, um die Mädels rumzukriegen. Und um den anderen Machos zu zeigen: Verpiss dich, Alter, hier ist mein Revier. Der Sprayer nutzt Tags, um seinen Lebensraum gegen Eindringlinge zu verteidigen. Der Hund pinkelt an Bäume. Die Amsel zwitschert.

Das ist in Ordnung so. Aber es zeigt, mit welcher Begeisterung wir unsere Umwelt missverstehen. Alle schwärmen von roten Sunsets in Hollywood – obwohl die umso röter sind, je stärker der Smog die Luft trübt. Früher freuten wir uns über die klaren Seen in Schweden und Finnland – die durch den Schwefel aus unseren Kraftwerken versauerten. Klares Wasser heißt nicht gesundes Gewässer! Wir finden Pinguine putzig und Robbenbabies süß, beides Raubtiere. Der Nacktmull dagegen, ein friedlicher Nager, gilt als das hässlichste Tier der Welt. Und auch, wenn das jetzt Ihr Weltbild ins Wanken bringt: Schweine sind nicht dreckig. Rabeneltern kümmern sich um ihren Nachwuchs besser als Helikoptereltern. Falken sind friedliche Zeitgenossen. Und Tauben ziemliche Arschlöcher.

Wie soll das gut gehen, wenn wir die Natur immer falsch interpretieren? Der/die eine (wir) versteht nicht, was der/die andere tut. Dem anderen (Nacktmull zum Beispiel) ist das herzlich egal. Klingt nach dem Rezept für eine Katastrophe. Da verzweifelt selbst der hartgesottenste Paartherapeut. Schlimmer noch: Wir wissen, was wir anrichten, aber wir ignorieren diese Erkenntnis. Nehmen die Natur(!)gesetze ihren Lauf, heißt es: „Die Natur schlägt zurück!“ Schön wär’s, wenn das System Erde so reflektiert wäre. Denn dann könnten wir mit der Umwelt verhandeln. Können wir aber nicht. Die Natur ist nicht rational oder der menschlichen Logik zugänglich. Die Natur ist nicht Angela Merkel. Die Natur ist Donald Trump.

Allerdings klingt sie besser. Gerade haben Forscher herausgefunden, dass auch Grönlandwale echte Gesangskünstler sind. Sie trällern 24 Stunden am Tag von November bis April, komponieren dauernd neue Songs und haben 184 „einzigartige melodische Gesänge“ im Repertoire – mehr als eine handelsübliche Amsel.

Und was machen wir? Das, was wir immer tun. Anfang April haben Island und Norwegen die Jagd auf Wale eröffnet.