: Musterland mit Problemen
Im Rahmen von „Achtung Berlin“ läuft „A Part Of Me“, der Film von Silvana Santamaria und dem Filmemacher Bilal Athimni, der die Geschichte der islamischen Radikalisierung tunesischer Jugendlicher nachzeichnet
Von Mirjam Ratmann
Ende der Diktatur, erste freie Wahlen, eine demokratische Verfassung: Seit der Revolution im Jahr 2011 hat sich in Tunesien einiges zum Positiven verändert, für viele gilt es als „Musterland“ der Region. Zugleich rekrutiert der sogenannte Islamische Staat (IS) seither vorrangig junge tunesische Männer für den Krieg in Syrien und dem Irak. Schätzungen der Vereinten Nationen und der tunesischen Behörden gehen davon aus, dass sich seit 2011 zwischen 5.000 bis 6.000 Tunesier Terrorgruppen angeschlossen haben.
Die deutsche Regisseurin Silvana Santamaria und ihr Ehemann, der tunesische Filmemacher Bilal Athimni, haben sich nun des Themas im Spielfilm „A part of me“ angenommen. In der nordwestlichen Stadt Jendouba, nur 50 Kilometer von der algerischen Grenze entfernt, ist der Film entstanden, der sich außer mit Extremismus auch mit Migration, Homosexualität und Verlustängsten beschäftigt.
Im Zentrum steht der 18-jährige Nabil, der eine Boxkarriere anstrebt, was er vor seinem Vater geheim hält. Doch im Grunde ist der Fokus aufs Boxen für ihn eine Ablenkung, denn seit einigen Monaten ist sein älterer Bruder Khalil spurlos verschwunden. Auch seine jüngere Schwester Basma macht sich Sorgen und versucht den Aufenthaltsort des Bruders herauszufinden. Während ihr Vater die Abwesenheit des Sohns totschweigt, müssen sich die Geschwister nach und nach mit dem Gedanken vertraut machen, dass Khalil sich einer Terrororganisation angeschlossen hat, um in Syrien für die Freiheit „seiner Brüder“ zu kämpfen.
Gründe der Radikalisierung
„In der Region sind die Leute sehr arm, es gibt keine Firmen und keine Industrie“, erläutert Regisseurin Santamaria einen der Gründe für die Radikalisierung junger Tunesier. Nach der Revolution hätten sich viele von ihnen der Al-Nusra-Front angeschlossen, die zunächst Teil der Terrororganisation al-Qaida war, bis sie sich 2016 von dieser abspaltete und dem IS anschloss.
In „A Part Of Me“ ist das aber nur ein Teil der Geschichte. Während Khalils Familie mit seiner wahrscheinlich terroristischen Aktivität umzugehen versucht, kommt der 62 Jahre alte Fareed das erste Mal seit vielen Jahren aus Frankreich wieder in seine Geburtsstadt. Als Nabil und er zufällig aufeinandertreffen, entwickelt sich bald eine besondere Freundschaft zwischen ihnen, die beiden für gewisse Dinge die Augen öffnet.
Während der Film diese und andere Storylines nebeneinander her- und miteinander verlaufen lässt, dominieren lange Standbilder und Kamerafahrten von der Stadt und Umgebung sowie Aufnahmen von Menschen bei unterschiedlichen Tätigkeiten, stets untermalt mit sphärischer, orientalischer Musik. Während es die vielen Themen und parallel laufenden Geschichten schwer machen, richtig in die Story einzusteigen, lesen sich diese Aufnahmen wie eine Liebeserklärung an Jendouba, Land und Leute. Bisweilen wirkt der Film so eher wie ein Dokumentarfilm.
Malerische Atmosphäre
Kameramann Daniel Grendel schafft es, durch seine ruhige Hand eine beinahe malerische, paradiesische Atmosphäre zu schaffen, sodass man die Ernsthaftigkeit des Themas manchmal vergisst. Das Prädikat „dokumentarisch“ stimmt auch deshalb, weil das Drehbuch von „A Part Of Me“ auf wahren Begebenheiten beruht und viele der Schauspieler*innen ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Leider helfen die eindrucksvollen Aufnahmen nicht, in dem Film wirklich Spannung aufkommen zu lassen. Die Geschichte plätschert so dahin, während einem als Zuschauer*in lange nicht klar ist, welche Botschaft sie transportieren möchte. Ursprünglich hatte der Film als Pilot dienen sollen, um das Ganze danach seriell weiterzuführen, erklärt Regisseurin Santamaria. Deshalb gebe es auch so viele Charaktere und so viele Geschichten. „Dann haben wir aber gemerkt, dass wir das nicht so einfach in Deutschland finanziert bekommen“, fügt sie bedauernd hinzu.
Da der Pilot nun aber als alleinstehender Film dasteht, geht das klassische Spielfilmkonzept nicht ganz auf. Es bleibt beim Pilot-Feeling: Man ist zwar angefixt, dann aber enttäuscht, weil man nicht auf „Nächste Episode“ klicken kann. Denn wie die Regisseurin selbst feststellt, „fängt die Geschichte ja erst richtig an, wenn der Film vorbei ist“. Trotzdem ist „A Part Of Me“ ein Film, der nachdenklich macht, nicht nur über Tunesiens Rolle im Syrienkonflikt, sondern auch darüber, wie Migration, Radikalisierung, Identität und Selbstfindung miteinander in Verbindung stehen und wie schwer es für Familien von Terroristen sein muss, mit Verlust und Schmerz umzugehen.
Im Rahmen von „Achtung Berlin“ feiert „A Part Of Me“ am 16. 4. um 19.45 im Babylon-Kino Premiere. Weitere Aufführungen: 17. 4., 21.15 im Delphi Lux, 18. 4., 17.45 im Babylon
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